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Einige Fallstricke der Krankentaggeldversicherung

Einige Fallstricke der Krankentaggeldversicherung

Kommentierung
Krankenversicherung -­ Krankentaggeld

Einige Fallstricke der Krankentaggeldversicherung

Bemerkungen zu 4A_563/2019

I.      Sachverhalt / Prozessgeschichte

Seit 1. Februar 2016 war A. (nachfolgend auch: der Versicherte) als Projektverantwortlicher bei der C. AG tätig. Über das Unternehmen war A. bei der AXA Versicherungen AG nach VVG kollektiv krankenversichert. Noch innerhalb der Probezeit von 3 Monaten erfolgte am 10. März 2016 die Kündigung auf den 20. März 2016. Am selben Tag suchte A. einen Psychiater auf, der A. aufgrund einer schweren depressiven Episode zu 100% krankschrieb. Der von der AXA beauftragte Facharzt attestierte eine Arbeitsfähigkeit von 50% ab 15. Juni 2016 und von 100% ab 15. Juli 2016. Nach einer Wartezeit von 60 Tagen entrichtete die AXA vom 9. Mai 2016 bis 14. Juli 2016 Krankentaggelder (zunächst ein volles, ab 15. Juni 2016 ein halbes Taggeld). Seit dem 30. Mai 2016 war A. aufgrund eines schweren Nierenleidens zu 100% arbeitsunfähig.

Die AXA verweigerte weitere Taggeldzahlungen und berief sich u.a. darauf, dass der Versicherte auch ohne die versicherte Erkrankung (= schwere depressive Episode) einen Erwerbsausfall erlitten hätte, da er weder Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe noch damit zu rechnen sei, dass er eine neue Stelle antreten könne. Richtig besehen habe daher gar nie ein Taggeldanspruch bestanden.

Auf Klage von A. bestätigte das Genfer Versicherungsgericht die Auffassung der AXA mit zwei unterschiedlichen Begründungen: Zum einen seien gemäss der Versicherungspolice vom 25. Mai 2016 nur Arbeitnehmende nach Ablauf der Probezeit versichert. Der Versicherte A. habe sich aber noch in der Probezeit befunden, als die Krankheit auftrat, weshalb kein Taggeldanspruch bestehe. Zum anderen sei die Kollektivkrankentaggeldversicherung eine Schadenversicherung und setze somit einen tatsächlichen Vermögensschaden voraus. Der Versicherte habe aber keinen Anspruch (mehr) auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung und es gebe keine Hinweise darauf, dass er ohne psychische Beschwerden irgendeine Erwerbstätigkeit hätte ausüben können.

Auf Beschwerde von A. bestätigte das Bundesgericht die Verweigerung der Taggeldzahlungen.

II.      Erwägungen mit Bemerkungen

Vorab geht das Bundesgericht ohne nähere Begründung entsprechend seiner ständigen, aber nicht unumstrittenen Rechtsprechung davon aus, dass auch eine Kollektivkrankentaggeldversicherung nach VVG zumindest zivilprozessual als «Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung» einzustufen ist (E. 1.1 u.a. mit Hinweis auf den [nicht einschlägigen] Art. 2 Abs. 2 KVAG).

1.      Sozialer Untersuchungsgrundsatz

Zunächst befasste sich das Bundesgericht mit der vorinstanzlichen Begründung, wonach gemäss der Versicherungspolice nur Arbeitnehmende nach Ablauf der Probezeit versichert seien. Der Knackpunkt war hier prozessualer Natur: Die Versicherungsdeckung war zwischen den Parteien unbestritten. Selbst die AXA ging davon aus, dass A. während der Dauer des Arbeitsverhältnisses versichert war. Das Bundesgericht bejahte die Bindung der Vorinstanz an die unbestritten gebliebene Behauptung der Versicherungsdeckung (E. 4.3).

Das Bundesgericht erwog hierzu Folgendes: Zwar stelle das Gericht den Sachverhalt bei Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung von Amtes wegen fest (Art. 247 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 243 Abs. 2 lit. f ZPO). Dieser soziale Untersuchungsgrundsatz bezwecke, die wirtschaftlich schwächere Partei zu schützen, die Gleichheit zwischen den Parteien herzustellen sowie das Verfahren zu beschleunigen. Die Parteien hätten aber dem Gericht den Sachverhalt zu unterbreiten. Das Gericht sei, namentlich bei anwaltlich vertretenen Parteien, nicht gehalten, die Akten von sich aus zu durchforsten, um abzuklären, was sich daraus zu Gunsten der Beweismittel anrufenden Partei herleiten lasse. Vielmehr habe sich das Gericht bei anwaltlich vertretenen Parteien grundsätzlich Zurückhaltung aufzuerlegen, wie in einem ordentlichen Verfahren (E. 4.2).

Bei der Tragweite des sozialen Untersuchungsgrundsatzes sei auch der Dispositionsgrundsatz nach Art. 58 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen. Er sei eine veritable prozessuale Verlängerung der Privatautonomie, die das Zivilrecht beherrsche. Dieser Grundsatz bedeute namentlich, dass das Gericht nur auf Initiative der Parteien einschreite, denen es obliege, den Rahmen des Verfahrens zu definieren und zu bestimmen, inwieweit sie die ihnen zustehenden Mittel und Ansprüche geltend machen wollen (E. 4.2).

Vorliegend waren beide Parteien anwaltlich vertreten und die Versicherungsdeckung war – wie erwähnt – unbestritten. Gemäss Bundesgericht ermächtigte daher der soziale Untersuchungsgrundsatz die Vorinstanz nicht, von Amtes wegen eine vertraglichen Abrede einzubeziehen, die nicht behauptet wurde und sich auch anderweitig nicht in die Verteidigungslinie der anwaltlich vertretenen Versicherung einfügte. Da sich der Versicherte auf eine AVB-Klausel berief, die für den Versicherungsschutz auf den Beginn der Anstellung (und nicht den Ablauf der Probezeit) abstellte, wäre es Sache der Versicherung gewesen, zu behaupten (und zu beweisen), dass der Versicherungsschutz im streitentscheidenden Zeitpunkt nur Angestellte nach Ablauf der Probezeit erfasste (E. 4.3 in fine).

Der Versicherte behauptete weiter, dass die Versicherungspolice vom 25. Mai 2016 auch deshalb nicht einschlägig sein könne, da die Krankheit bereits am 10 März 2016 auftrat. Da das Bundesgericht ein Abstellen auf die Police vom 25. Mai 2016 aus den eben erwähnten Gründen ausschloss, hatte sich diese Rüge grundsätzlich erübrigt. Doch öffnete sich damit ein weiterer prozessualer Fallstrick. Denn die angeblich einschlägige Police lag gar nicht bei den Akten – ein Umstand, der zur Abweisung der Klage hätte führen können. Doch die AXA bestritt die relevanten Eckpunkte der Versicherungsdeckung nicht (insb. 80% des Lohnausfalls bis 730 Tage nach Abzug einer Wartezeit von 60 Tagen) (E. 4.4).

Bemerkungen: Die Tragweite des sozialen Untersuchungsgrundsatzes wirft in der Lehre Fragen auf. In einer aktuellen Dissertation wird in erklärter Abweichung zur «wohl mehrheitliche[n] Meinung» und zu einer restriktiven Gerichtspraxis ausgeführt, es müsse bei Geltung der eingeschränkten Untersuchungsmaxime im Belieben des Gerichts stehen, den Parteien zu glauben oder nicht.[1] Mit einer allzu starken gerichtlichen Zurückhaltung könne das Ziel eines sozialen Zivilprozesses allenfalls nicht erreicht werden.[2] Diese Ziel - insb. der Schutz der wirtschaftlich schwächeren Partei - erklärt, weshalb dem Bundesgericht im vorliegenden Fall zugestimmt werden kann: Ein Versicherer wie die AXA sollte sich selbst zu verteidigen wissen. Aber was ist, wenn sich die Bindung an unbestrittene Behauptungen zum Nachteil der Versicherten auswirkt? Wie stark darf ein unparteiisches Gericht die schwächere Partei unterstützen?[3] Das sind schwierige Frage. Zum einen kann der Sozialschutz für eine gerichtliche Hilfe sprechen. Auch hat das Bundesgericht bei Krankenzusatzversicherungen schon mehrfach sozialpolitische Überlegungen berücksichtigt, und zwar aus zivil- wie öffentlich-rechtlicher Sicht.[4] Zum anderen bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn der Richter in die Anwaltsrobe schlüpft (siehe BGer-Urteil 4C.301/2000 vom 12. Februar 2001 E. 2b/aa/bbb). 

2.      Schadenversicherung oder Summenversicherung?

Die Vorinstanz ging in einer zweiten Begründung davon aus, es liege eine Schadenversicherung vor. Eine Kollektivversicherung werde ihrem Wesen nach im Allgemeinen als Schadenversicherung abgeschlossen, was die anwendbaren AVB-Bestimmungen im konkreten Fall bestätigen würden: Die Höhe der Entschädigung hing vom Ausmass der Arbeitsunfähigkeit ab; sie wurde auf der Grundlage des tatsächlichen Lohnes berechnet und konnte bei einer Überentschädigung gekürzt werden. Der Versicherte hatte mangels genügender Beitragszeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Weiter war nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass A. ohne psychische Beschwerden eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hätte, wobei die Vorinstanz u.a. auf das schwere Nierenleiden hinwies (E. 5.1).

Gemäss Bundesgericht beschäftigt die Unterscheidung zwischen Summen- und Schadenversicherung Lehre und Rechtsprechung seit langem (E. 5.2.3). Die Summenversicherung garantiert eine bei Vertragsabschluss vordefinierte Leistung, die bei Eintritt des Versicherungsfalls unabhängig von dessen finanziellen Folgen und dem Vorliegen eines möglichen Schadens gezahlt werden muss. Im Gegensatz dazu machen die Vertragsparteien bei der Schadenversicherung den tatsächlichen Vermögensschaden zu einer eigenständigen Bedingung für den Leistungsanspruch; eine solche Versicherung soll einen tatsächlichen Schaden ganz oder teilweise ausgleichen. Dabei ist es der Zweck jeder Versicherung, einer möglichen Vermögenseinbusse vorzubeugen. Das Unterscheidungskriterium liegt also nicht im Zweck, sondern in der Voraussetzung der Versicherungsleistung (E. 5.2.3).

Bei einer Summenversicherung kann der Versicherte seinen vertraglichen Taggeldanspruch mit anderen Ansprüchen kumulieren, die das gleiche Schadensereignis betreffen. Eine Überentschädigung ist möglich; gemäss Art. 96 VVG gehen die Ansprüche, die dem Anspruchsberechtigten infolge Eintritts des befürchteten Ereignisses gegenüber Dritten zustehen, nicht auf den Versicherer über. Für die Schadenversicherung gilt dagegen der Entschädigungsgrundsatz; zur Vermeidung einer Kumulation hat Art. 72 VVG einen Rückgriffsanspruch des Versicherers gegen den haftpflichtigen Dritten begründet (E. 5.2.3). 

Zur Auslegung des Versicherungsvertrages im Hinblick auf die Unterscheidung von Schaden- und Summenversicherung äussert sich das Bundesgericht zunächst allgemein wie folgt (alles in E. 5.2.3):

  • Ob eine Summen- oder eine Schadenversicherung vorliegt, hängt vom Versicherungsvertrag und den allgemeinen Bedingungen ab. Der Ausdruck «Erwerbsunfähigkeit» («incapacité du gain») ist insoweit nicht entscheidend, als er manchmal auch synonym mit Arbeitsunfähigkeit («incapacité de travail») verwendet wird.
  • Die üblichen Vertragsauslegungsregeln sind anwendbar. Mehrdeutige Wendungen in sind im Zweifel zu Lasten jener Partei auszulegen, die sie verfasst hat (sog. Unklarheitsregel).
  • Das Erfordernis eines Schadens muss nicht ausdrücklich vereinbart werden, wenn es sich aus der Auslegung ergibt, wobei unter Umständen auch andere vertragliche Dokumente beizuziehen sind.
  • Eine Schadenversicherung kann auch vorliegen, wenn die Leistungen teilweise pauschalisiert sind, was aus Praktikabilitätsgründen häufig anzutreffen ist.
  • Nach verschiedenen Autoren sind Kollektivversicherungen, die von einem Unternehmen für das Personal abgeschlossen werden, typischerweise Schadenversicherungen. Das Bundesgericht verweist hier darauf, dass solche Versicherungen häufig die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 324a OR ablösen (Art. 324a Abs. 4 OR).
  • Die Tatsache, dass die Versicherung nicht namentlich genannte Personen abdeckt, sowie die Tatsache, dass sich die Versicherung auf den letzten in der Firma bezogenen AHV-Lohn bezieht, sprechen für eine Schadenversicherung.
  • Die Kollektivversicherung kann sowohl eine Schadenversicherung für Angestellte als auch eine Summenversicherung für die Unternehmensleitung bzw. den Arbeitgeber umfassen; tatsächlich sind Summenversicherungen bei Selbständigen üblich.

Schliesslich weist das Bundesgericht mit deutlichen Worten darauf hin, dass zahlreiche Streitigkeiten über die Natur der abgeschlossenen Versicherung leicht vermieden werden könnten, wenn die Versicherer in ihren AVB klar angegeben würden, welche Art von Versicherung angeboten wird. In diesem Zusammenhang weist das Bundesgericht auch auf die Revision des VVG hin, wonach der Versicherer «verständlich und in einer Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht» u.a. über «den Umfang des Versicherungsschutzes und darüber [informieren muss], ob es sich um eine Summen- oder um eine Schadenversicherung handelt» (Art. 3 Abs. 1 lit. b revVVG).

Vorliegend kommt das Bundesgericht zu folgenden Schlüssen (alles in E. 5.2.4):

  • Gemäss AVB erbringt die AXA «die in der Police aufgeführten Leistungen für die wirtschaftlichen Folgen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit». Diese Formulierung ist für das Bundesgericht nicht entscheidend, da sie auf den Zweck der Versicherung abzielt, der Summen- und Schadenversicherung gemeinsam ist (siehe dazu oben).
  • In erster Linie ist auf die Bedingungen der Leistungspflicht abzustellen. Taggelder werden nach den AVB der AXA ausgerichtet, wenn der Versicherte nach ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig ist. Als Grundlage für die Bemessung der Taggelder gilt der letzte vor Krankheitsbeginn im versicherten Betrieb bezogene AHV-Lohn. Die AVB-Formulierung «Ist der Versicherte nach ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig, bezahlt die AXA das Taggeld nach Ablauf der vereinbarten Wartefrist längstens während der in der Police aufgeführten Leistungsdauer» spricht für das Bundesgericht auf den ersten Blick für eine Summenversicherung, da die Arbeitsunfähigkeit als solche genügt. Es fehlen einschränkende Formulierungen wie «bis zur Höhe des festgestellten Verdienstausfalls» oder der Vorbehalt, dass im Einzelfall ein Nachweis eines konkreten Verdienstausfalls eingefordert werden kann.
  • Eine isolierte Auslegung einer einzelnen AVB-Klausel lehnt das Bundesgericht indes ab. Bei einer Gesamtbetrachtung sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Versicherten nicht namentlich umschrieben werden und auf den letzten in der Firma bezogenen AHV-Lohn abgestellt wird.
  • Weiter verweist das Bundesgericht auf eine Klausel, wonach Leistungen Dritter zur Vermeidung einer Überentschädigung berücksichtigt werden, wenn anderes nicht ausdrücklich vereinbart ist. Diese Abrede sei für eine Schadenversicherung typisch. Sie sei nur ausnahmsweise bei einer Summenversicherung anzutreffen (mit Hinweis auf BGE 133 III 527 E. 3.2.5 S. 533). 
  • Nicht entscheidend war für das Bundesgericht schliesslich eine Formulierung im Rahmen des Übertrittsrechts in die Einzelversicherung, wonach in der Einzelversicherung höchstens derjenige Betrag versicherbar ist, «der aus der Arbeitslosenentschädigung resultiert bzw. resultieren würde». Die Klausel betreffe die Einzelversicherung, nicht die Kollektivversicherung.

Bemerkungen: Die bundesgerichtlichen Ausführungen zur einer Krankentaggeldversicherung nach VVG sind instruktiv,[5] wobei das Bundesgericht an seine bisherige Praxis anknüpft, diese aber m.E. «präzisiert». Letztes gilt insbesondere mit Bezug auf das BGer-Urteil 4A_521/2015 vom 7. Januar 2016, wo das Bundesgericht gestützt auf ähnliche rechtliche Kriterien wie im vorliegenden Fall eine Summenversicherung angenommen hat (zu den Unterschieden aus Sicht des BGer vgl. E. 5.2.5 des vorliegenden Entscheids).

Das Bundesgericht erwähnt in den Erwägungen Stephan Fuhrer, der zum erwähnten Urteil 4A_521/2015 Folgendes ausgeführt hat: «Einmal mehr mussten sich die Gerichte mit der Frage befassen, ob eine Taggeldversicherung als Schaden- oder als Summenversicherung ausgestaltet ist. Solche Prozesse wären problemlos vermeidbar, wenn die Versicherer in ihren AVB bei jeder Leistung klar deklarierten, welche Art Versicherung vorliegt.»[6] Bei so viel Unklarheit denkt man an die Unklarheitsregel, die das Bundesgericht zwar erwähnt, aber nicht greifen lässt.[7] Vielmehr verweist es auf die Revision des VVG. Interessant ist auch der Hinweis, dass allenfalls zwischen Einzel- und Kollektivversicherung zu differenzieren ist, was bei einem Übertritt in die Einzelversicherung nach Ausscheiden aus dem Unternehmen relevant werden kann.

3.      Nachweis Erwerbsausfall

Eine letzte Rüge des Versicherten betraf die Beweislastverteilung. A. brachte vor, ihm sei zu Unrecht der Beweis auferlegt worden, dass er einen Erwerbsausfall erlitten habe. Der Versicherte berief sich dabei auf die Grundsätze von BGE 141 III 241 und führte aus, im Zeitpunkt der Erkrankung (10. März 2016) noch nicht arbeitslos gewesen zu sein.

In BGE 141 III 241 hielt das Bundesgericht Folgendes fest: «Beansprucht eine arbeitslose Person, die keinen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung hat, Krankentaggelder, so obliegt ihr der Beweis eines Erwerbsausfalls. Die versicherte Person hat mithin eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür nachzuweisen, dass sie ohne Krankheit eine Erwerbstätigkeit ausüben würde. Dies gilt namentlich, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Erkrankung bereits arbeitslos war. War die versicherte Person im Zeitpunkt ihrer Erkrankung noch nicht arbeitslos, so profitiert sie von der tatsächlichen Vermutung, dass sie ohne Krankheit erwerbstätig wäre; die Versicherung kann diesbezüglich den Gegenbeweis antreten, der sich gegen die Vermutungsbasis oder die Vermutungsfolge richten kann.» (Hervorhebung beigefügt)

Das Bundesgericht führt dazu aus, entscheidend sei der Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsvertrages, damit die tatsächliche Vermutung greift. Diese ist anwendbar, wenn der Versicherte aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, bevor er eine Anstellung durch Kündigung verliert («avant qu’il ne perde son emploi par résiliation»). Vorliegend ist der Versicherte aber im Anschluss an die Kündigung erkrankt, weshalb die Vermutung nicht greift. Selbst wenn die Vermutung gegriffen hätte – so doppelt das Bundesgericht nach –, sei die Verneinung des Leistungsanspruchs korrekt, weil der Versicherte seit dem 30. Mai 2016 aufgrund des (nicht versicherten) schweren Nierenleidens zu 100% arbeitsunfähig sei (E. 5.3.2).

Bemerkungen: Die Vorinstanz hat die vom Bundesgericht bestätigten Grundsätze überblickartig zusammengefasst und sich dabei u.a. auf das BGer-Urteil 9C_24/2013 vom 25. März 2013 abgestützt. Im Einzelnen hat die Vorinstanz folgende Konstellationen unterschieden (E. 6 des vorinstanzlichen Entscheids, eigene Übersetzung): 

  • Wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit verliert, ist von der (widerlegbaren) Vermutung auszugehen, dass der Arbeitnehmer seinen Lohn weiter bezogen hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig geworden wäre, da er ohne das Auftreten der Krankheit seinen Arbeitsplatz nicht verloren hätte. In diesem Fall entspricht der Verdienstausfall dem Lohnausfall, dies selbst nach Ablauf der Kündigungsfrist.  
  • Wird der Arbeitnehmer nach der Kündigung des Arbeitsvertrages arbeitsunfähig, gilt die eben genannte Vermutung nicht, da der Arbeitnehmer unabhängig von der Krankheit in jedem Fall seinen Arbeitsplatz verloren hätte. Mit anderen Worten: Die Krankheit ist nicht die Hauptursache für den Lohnausfall nach Beendigung des Arbeitsvertrages. Der Arbeitnehmer befindet sich in der gleichen Situation wie ein Arbeitsloser, der aufgrund der Krankheit nicht vermittlungsfähig ist und daher keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat. In einem solchen Fall muss der Verdienstausfall und damit das Taggeld auf der Grundlage des Ausfalls der Arbeitslosenentschädigung berechnet werden.
  • Wird der Arbeitnehmer nach der Kündigung des Arbeitsvertrages arbeitsunfähig, hätte aber keinen oder keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosenentschädigung, z.B. wegen unzureichender Beitragszeit, besteht der Anspruch auf Tagegeld bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Nach Ablauf der Kündigungsfrist hat der Arbeitnehmer jedoch keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Er wird daher keinen Anspruch auf die Zahlung eines Ersatzeinkommens haben, es sei denn, er weist nach, dass er, wäre er nicht krank gewesen, aller Wahrscheinlichkeit nach eine neue, konkret definierte Tätigkeit aufgenommen hätte.  

Der vorliegende Fall fällt nach der Vorinstanz in die letztgenannte Kategorie, was das Bundesgericht bestätigt.

 


[1] Fabio Enrico Renzo Scotoni, Klagen vor dem Sozialversicherungsgericht, Zürich/Basel/Genf 2020, Rz. 174 ff.

[2] Scotoni, a.a.O., Rz. 574.

[3] Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht vgl. Philipp Egli, Rechtsverwirklichung durch Sozialversicherungsverfahren, Zürich/Basel/Genf 2012, S. 167 f.

[4] BGer-Urteil 2C_717/2017 vom 25. November 2019 E. 5.3; BGE 136 I 197 E. 4.4.3 S. 205.

[5] Zur (umstrittenen) Rechtslage nach KVG siehe BGE 130 V 35 E. 3.5 38 (zu Taggeldern nach UVG, KVG und MVG); ferner Häberli/Husmann, Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechtliche Aspekte, Bern 2015, S. 8 ff.

[6] Stephan Fuhrer, Anmerkungen zu privatversicherungsrechtlichen Entscheidungen des Bundesgerichts, HAVE 2015, S. 210 ff., 215.

[7] Tendenziell strenger Volker Pribnow/Sarah Eichenberger, Privatversicherungsrechtliche Leistungen in der Bugwelle sozialversicherungsrechtlicher Anschauungen, in: Personen-Schaden-Forum 2020, Zürich/Basel/Genf 2020, S, 247 ff., 261.

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