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Einkäufe durch Testkunden und unsinnige Zielvorgaben

Einkäufe durch Testkunden und unsinnige Zielvorgaben

Kommentierung
Privates Individualarbeitsrecht

Einkäufe durch Testkunden und unsinnige Zielvorgaben

4D_12/2019

1.    Sachverhalt

Eine Verkäuferin hatte von ihren Vorgesetzten die Anweisung erhalten, den Kunden jeweils möglichst drei Produkte zu verkaufen. Bediente sie eine Person, die nur ein Produkt ausgewählt hatte und keine Quittung wünschte, zog sie das Geld zwar ein, tippte den Betrag aber erst in die Kasse, wenn danach jemand zwei Produkte zum Zahlen vorlegte. So gab sie vor, sie befolge die Weisung, jeweils drei Produkte zu verkaufen. Die Arbeitgeberin kam ihrer Mitarbeiterin auf die Schliche, weil sie eine externe Firma für Testkäufe (mystery shopping) beizog.

2.    Zusammenfassung der Erwägungen

Das Bundesgericht bestätigte mit dem Entscheid die Urteile der Vorinstanzen, welche die fristlose Entlassung dieser Verkäuferin als ungerechtfertigt erachtet hatten. Dass sie einzelne Beträge nicht unmittelbar eintippte und teilweise keine Quittungen abgab, sahen alle Gerichtsinstanzen nicht als derart gravierendes Fehlverhalten an, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (oder eine ordentliche Kündigung) für die Arbeitgeberin unzumutbar gewesen wäre.

Das Fehlverhalten der Verkäuferin führte u.a. jedoch dazu, dass ihr eine Entschädigung nach Art. 337c Abs. 3 OR nur im Umfang von einem Monatslohn zugesprochen wurde. Ausserdem hatte die Arbeitslosenkasse ihre Anspruchsberechtigung für 33 Taggelder eingestellt. Ein schweres Fehlverhalten im Sinne der Arbeitslosenversicherung bedeutet aber nicht, dass dies allein als wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung gelten könne. Entscheide der Arbeitslosenkasse sind für das Zivilgericht nicht bindend (E.4.3).

3.    Kommentare

3.1.    Mystery Shopping

Weder im Urteil des Bundesgerichts, noch im vorinstanzlichen Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg wird thematisiert, ob der Einsatz von Test-Kunden durch die Arbeitgeberin überhaupt zulässig war. Eine solche Überwachungsmassnahme muss nämlich für die Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich und verhältnismässig sein, und sie sollte nur nach vorheriger allgemeiner Information erfolgen 1. Dies war hier offenbar der Fall, denn der Anwalt der Verkäuferin hat das Vorgehen der Arbeitgeberin soweit ersichtlich nicht gerügt.

3.2.    Zielvorgaben von Arbeitgebenden

Die Vorgabe, möglichst jedem Kunden jeweils gleich drei Produkte zu verkaufen, hat die Verkäuferin zu diesem unkorrekten Vorgehen veranlasst. Sie glaubte, ihrer Arbeitgeberin mit möglichst vielen Verkäufen zu drei Produkten imponieren zu können. Es wird in den Urteilen des Bundesgerichts und des Kantonsgerichts zwar nicht erwähnt, aber diese unsinnige Weisung der Arbeitgeberin hat möglicherweise dazu geführt hat, dass den Gerichten das Fehlverhalten der Arbeitnehmerin in milderem Licht erschienen ist und ein gewisses Mitverschulden der Arbeitgeberin den Entscheid mitbeeinflusst hat. Vorgesetzte sind jedenfalls gut beraten, die Mitarbeitenden nicht mit Weisungen zu unethischem und unrechtmässigem Verhalten verführen.

3.3.    Fristlose Entlassung und Sanktionen der Arbeitslosenkasse

Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit gemäss Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV setzt keine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses (Art. 337 OR) voraus. Es genügt, dass das allgemeine Verhalten der versicherten Person Anlass zur Kündigung gegeben hat (AVIG-Praxis D21). Im vorliegenden Fall hat die Verkäuferin durch ihr Verhalten den Anlass zur Kündigung und damit zu versicherungsrechtlichen Sanktionen gegeben. Ihr Verschulden wurde von der Arbeitslosenkasse als schwer qualifiziert (Art. 45 Abs. 3 AVIG). Daraus konnte die ehemalige Arbeitgeberin vor Zivilgericht aber nichts zu ihren Gunsten ableiten. Aus arbeitsrechtlicher Sicht lag kein derart wichtiger Grund vor, der zur fristlosen Entlassung berechtigt hätte.

  • 1. FRANK EMMEL, Kommentar zu Art. 328 OR N 4a
iusNet AR-SVR 23.09.2019