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Gratifikation oder Lohn? (4A_714/2016 )

Gratifikation oder Lohn? (4A_714/2016 )

Rechtsprechung
Privates Individualarbeitsrecht

Gratifikation oder Lohn? (4A_714/2016 )

Das Bundesgericht fasst ausführlich und systematisch seine bisherige Rechtsprechung zum Pro-rata-Anspruch auf einen Bonus zusammen. Es präzisiert das Prinzip der Akzessorietät bei mittleren und höheren Einkommen im Rahmen einer Beschwerde eines ehemaligen Bankangestellten, der während neun Jahren jährliche Boni in unterschiedlicher Höhe erhalten hatte. Zunächst wird festgehalten, dass zur Bestimmung der Höhe der Entschädigungen im Jahr 2014 die Lohnzahlungen sowie der im Jahr 2014 ausbezahlte Bonus massgebend sind (E. 1.2). Zur Beurteilung des geltend gemachten Pro-rata-Anspruchs ist zunächst der Parteiwille zu eruieren. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag neben dem Lohn vereinbart, dass ein Bonus nach jeweiligem speziellen Entscheid der Arbeitgeberin aufgrund des Geschäftsgangs ausbezahlt werde. Es wurde ausdrücklich festgehalten, dass es sich hierbei um eine variable und freiwillige Leistung im Sinne von Art. 322d OR handle, die keinen Anspruch des Arbeitsnehmers begründe. Nach bisheriger Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf den Bonus, wenn die Gratifikation drei Jahre hintereinander vorbehaltlos ausbezahlt wurde (BGE 129 III 276 E. 2.1; 131 III 615 E. 5.2) (E. 3.2.2.1). Im vorliegenden Fall wurde jedoch ein derartiger Freiwilligkeitsvorbehalt bei der Mitteilung zur Auszahlung des Bonus angebracht. Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt wird nach bisheriger Rechtsprechung erst zu einer leeren Floskel, wenn er jahrzehntelang und auch bei schlechtem Geschäftsgang oder schlechten Leistungen der betroffenen Arbeitnehmer ausbezahlt wurde (BGE 129 III 276 E. 2.3) (E. 3.2.2.3). Dies war vorliegend nicht der Fall. Auf den freiwilligen Charakter der Leistung hatte es keinen Einfluss, dass auf dem Lebenslauf des Arbeitnehmers in der Personalakte am Rand Handnotizen mit der Bemerkung Bonus, 120'000.– mit teilweise unverständlichen Begriffen zu finden waren (E. 3.3, 5.2). Ein Bonus kann nicht mehr als (reine) Gratifikation verstanden werden, wenn dessen Höhe bestimmt oder objektiv bestimmbar ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall, auch wenn die Parteien von einer Gesamtentschädigung ausgegangen sind, welche impliziert, dass ein Bonus systematisch ausbezahlt werde (E. 5.1). Eine Gratifikation kann zu Lohn werden und dadurch den freiwilligen Charakter verlieren, wenn sie nicht mehr bloss akzessorischen Charakter hat. Dies ist bei mittleren und höheren Einkommen der Fall, wenn der Bonus gleich hoch oder höher ist als der Jahreslohn. Bei tieferen Einkommen, kann Akzessorietät auch schon bei tieferen Beträgen gegeben sein (BGE 141 III 407 E. 4.3). Das Kriterium der Akzessorietät ist bei sehr hohen Einkommen nicht massgebend, weil diesfalls der Arbeitnehmerschutz in den Hintergrund tritt. Gemessen am schweizerischen Durchschnittseinkommen stufte das Bundesgericht für das Jahr 2009 ein Einkommen von CHF 354’000 als sehr hoch ein (BGE 141 III 407 E. 5.4) (E. 3.3.1, 3.3.2). Vorliegend war von einem mittleren bis höheren Einkommen die Rede, weshalb die Akzessorietät zu prüfen war. Sie wurde abgelehnt, weil in den neun Jahren vor der Kündigung das Verhältnis zwischen Jahreslohn und Bonus zwischen 16.94 und 60.60 Prozent zu liegen kam. Das Bundesgericht betont, dass das Verhältnis nur zweimal über 50% und insbesondere im Jahr vor der Kündigung durch den Arbeitnehmer wieder unter 50% lag (E. 6) . An der Qualifikation des Bonus als Gratifikation ändert auch die Erwähnung des Bonus unter der Rubrik Lohn in der Steuereinschätzung nichts (E. 5.2).

iusNet AR-SVR 21.09.2017