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Vermittlungsfähigkeit und Kinderbetreuung (8C_752/2016 )

Vermittlungsfähigkeit und Kinderbetreuung (8C_752/2016 )

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Vermittlungsfähigkeit und Kinderbetreuung (8C_752/2016 )

Bemerkung der Redaktion: Vgl. zu diesem Entscheid den Kommentar BGE 143 V 168: Vermittlungsfähigkeit nach Niederkunft (Nachtarbeit) von Barbara Kupfer.

Die 1985 geborene Versicherte war zuletzt als Fachangestellte Gesundheit in einem Spital angestellt, wobei sie die Stelle nach der Geburt ihres ersten Kindes kündigte. Nach der Geburt des zweiten Kindes meldete sich die Versicherte beim RAV an und stellte kurze Zeit später einen Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. Die Versicherte suchte ausdrücklich einen Arbeitsvertrag für Nachtschicht. Das zuständige kantonale Amt verneinte die Vermittlungsfähigkeit und damit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wogegen die Versicherte opponierte.

Strittig war vor Bundesgericht die Vermittlungsfähigkeit im Zeitraum zwischen der 8. und 16. Woche nach der Geburt des Kindes. In diesem Zeitraum hat der Arbeitgeber gemäss Art. 35b ArG der Arbeitnehmerin nach Möglichkeit eine gleichwertige Ersatzarbeit für Nachtarbeit anzubieten, wobei eine (zwingende) gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht besteht, sollte keine Ersatzarbeit angeboten werden können. Diese Bestimmung stellt es also in das Belieben der Arbeitnehmerin, zwischen der 8. und der 16. Woche nach der Geburt des Kindes eine Nachtarbeit anzunehmen (E. 5.1).

Alledings darf die Vermittlungsfähigkeit nicht mit Hinweis auf Art. 35b ArG verneint werden. Das Bundegericht führt hierzu aus: "Der Beschwerdeführerin allein wegen dieses Schutzes [= Art. 35b ArG] und einer darin gründenden Abwehrhaltung der um eine Stelle angegangenen Arbeitgeber die Vermittlungsfähigkeit abzusprechen, geht jedoch nicht an. Zum einen gilt die Personalnachfrage im Pflegebereich als notorisch hoch, weshalb nicht auszuschliessen ist, dass ein Arbeitgeber im vollen Wissen um die im Rahmen des Art. 35b ArG bestehenden Unwägbarkeiten Hand zur Anstellung bieten könnte. Vor allem aber erweist sich als entscheidend, dass die Vorinstanz mit ihrer Sicht den in Frage kommenden Arbeitgebern eine Haltung unterstellt, die als Anstellungsdiskriminierung ihrerseits in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 und 2 GlG fiele und zu Entschädigungsansprüchen in Höhe von bis zu drei Monatslöhnen (vgl. Art. 5 Abs. 2 und 4 GlG) führen würde (...) Vor diesem Hintergrund hält die vorinstanzlich verneinte Vermittlungsfähigkeit bundesrechtlich nicht stand, weshalb sich eine Prüfung erübrigt, ob im hier gegebenen spezifischen Zusammenhang die Anforderungen an die Vermittlungsfähigkeit zu lockern wären (...)" (E. 5.1).

Dennoch verneinte das Bundesgericht die von der Versicherten geltend gemachte volle Vermittlungsfähigkeit. Zum Verhängnis wurden der Versicherten ihre "Aussagen der ersten Stunde", gestützt auf welche die Vorinstanz eine tragfähige Kinderbetreuung verneinte: Namentlich hatte die Vorinstanz erwogen, dass die (angebliche) Kinderbetreuung tagsüber durch die Mutter der Versicherten, ihre Schwägerin und Cousine erst nach Vorliegen der ablehnenden Verfügung vorgebracht worden sei und daher nicht überwiegend wahrscheinlich sei (E. 3). Das Bundesgericht sah keinen Anlass, davon abzuweichen, zumal die Schilderungen der Versicherten zur Kinderbetreuung tagsüber "bewusst oder unbewusst von Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art beeinflusst sein können" (E. 5.2.2).

iusNet AR-SVR 17.10.2017