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Unterscheidung zwischen Boni und freiwilligen Leistungen bei der Berechnung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung

Unterscheidung zwischen Boni und freiwilligen Leistungen bei der Berechnung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung

Kommentierung
Arbeitslosenversicherung

Unterscheidung zwischen Boni und freiwilligen Leistungen bei der Berechnung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung

Urteil 8C_427/2018, zur Publikation vorgesehen

I. Sachverhalt

Gemäss Urteil 8C_427/2018 wurde der Versicherte im Jahr 2005 als Vizepräsident und CFO einer Aktiengesellschaft mit einem Grundgehalt von CHF 320´000.00/Jahr angestellt. Der Vertrag sah zusätzlich die Teilnahme an einem „Mitarbeiteranreizplan“ vor, mit welchem das Grundgehalt um bis zu 35% erhöht werden konnte, den Erwerb von Unternehmensanteilen sowie in einigen Fällen einen qualifizierten Ermessensbonus. Im Jahr 2013 wurde der Versicherte für ungefähr 36 Monate nach Luxemburg entsandt, wobei die Bedingungen des ursprünglichen Vertrags grösstenteils gültig blieben. Das Jahresgehalt betrug damals CHF 412´000.00/Jahr. Am 25. August 2015 wurde das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien mit einer Trennungsvereinbarung aufgelöst. Der Versicherte erhielt eine Abfindungszahlung in der Höhe von CHF 1´490´000.00, zahlbar in zwei Raten. Er beantragte daraufhin per 1. Dezember 2015 Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die ihm verweigert wurden. Die Abfindung decke (als freiwillige Leistung des Arbeitgebers) einen Arbeitsausfall von 28 Monaten und 4 Tagen ab, weshalb ihm bis zum 5. April 2018 keine Arbeitslosenentschädigung zustehe. Der Versicherte machte geltend, es handle sich, insbesondere bei den Zusatzzahlungen, um Lohnbestandteile. Von der Abfindungszahlung wurde dem Versicherten lediglich der Gehaltsanspruch von 3 Monaten angerechnet (vgl. Art. 10h AVIV, „Anrechenbarer Arbeitsausfall bei vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen“) sowie CHF 126´000.00 (gültiger Höchstbetrag bis zum 31. Dezember 2015). Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid.

II. Gesetz und Rechtsprechung

Gemäss Art. 11a AVIG gilt der Arbeitsausfall so lange nicht als anrechenbar, als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Verdienstausfall decken. Gemäss Art. 10a AVIV gelten als freiwillige Leistungen diejenigen Leistungen des Arbeitgebers (…), die nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche nach Art. 11 Abs. 3 AVIG darstellen. Freiwillige Leistungen des Arbeitgebers werden nur berücksichtigt, soweit sie den Höchstbetrag nach Art. 3 Abs. 2 AVIG übersteigen. Gemäss Art. 3 Abs. 2 AVIG beträgt der Beitragssatz bis zum massgebenden, auf den Monat umgerechneten Höchstbetrag des versicherten Verdienstes der obligatorischen Unfallversicherung, 2.2 Prozent. Seit dem 1. Januar 2016 ist dieser Höchstbetrag CHF 148´200.00, vorher betrug er CHF 126´000.00. Die Dauer der Frist (während welcher der Arbeitsausfall nicht anrechenbar ist) berechnet sich gemäss Art. 10c Abs. 2 AVIV, indem der Betrag der berücksichtigten freiwilligen Leistungen durch den Lohn geteilt wird, der im Rahmen der Tätigkeit erzielt wurde, welche die Leistungen ausgelöst hat (…).

Der Zweck von Art. 11a AVIG besteht darin, zu verhindern, dass versicherte Personen, welche ausserordentlich hohe Leistungen von ihrem ehemaligen Arbeitgeber beziehen, vom ersten Tag an Arbeitslosenentschädigung erhalten. Eine volle Anrechnung freiwilliger Leistungen an die Taggelder der Arbeitslosenversicherung würde aber dazu führen, dass in Sozialplänen keine Abgangsentschädigungen mehr vorgesehen würden, weshalb ein Höchstbetrag eingeführt worden ist (Urteil des Bundesgerichts 8C_233/2012 vom 5. Juni 2012 E. 3.1).

Im Hinblick auf Boni und freiwillige Leistungen des Arbeitgebers hat das Bundesgericht (im Vergleich zur weiteren Rechtsprechung in etwas widersprüchlicher Art) entschieden, dass eine Abgangsentschädigung von vier Monatslöhnen wegen Restrukturierung als freiwillige Leistung zu qualifizieren sei, auch wenn sie sich i.c. nach der anwendbaren kantonalen Gesetzgebung richtete, die eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers vorsah. Sie erreichte allerdings vorliegend nicht den erforderlichen Höchstbetrag, um den Beginn des Anspruchs auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung hinauszuschieben (BGE 143 V 161 vom 13. Februar 2017 E. 4.5 und 4.6.). In einem anderen Entscheid änderte der Umstand allein, dass eine Zahlung nicht an eine versicherte Person direkt, sondern an deren Vorsorgeeinrichtung erfolgte, am Charakter der Entschädigung nichts (freiwillige Abgangsentschädigungen ohne Vorsorgecharakter), zumal i.c. die Einzahlung der Abfindungssumme auf das Vorsorgekonto erst unmittelbar vor der Überweisung des Gesamtbetrages an die versicherte Person vorgenommen worden war (Urteil des Bundesgerichts C 245/05 vom 17. November 2005 E. 2.2). Entlässt ein Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin fristlos und entrichtet ihr zugleich einen Betrag von CHF 30´000.00 als „Unterstützung für ihre Familie“, so ist dieser Betrag als freiwillige Leistung i.S.v. Art. 11a AVIG zu qualifizieren (Urteil des Bundesgerichts 8C_595/2018 vom 29. November 2018 E. 5.1 in ARV 1/2019 N 2). Eine Durchhalteprämie in der Höhe von CHF 332´800.00, die einem Sales Manager wegen der Befürchtung, er könne die Arbeitgeberin vorzeitig verlassen, neben Lohn und Abgangsentschädigung bezahlt worden war, stellte eine freiwillige Zuwendung gemäss Art. 11a AVIG und keinen Lohn- oder Entschädigungsanspruch nach Art. 11 Abs. 3 AVIG dar (Urteil des Bundesgerichts 8C_822/2015 vom 14. Januar 2016 E. 3.2).

Zum massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung gehören laut Art. 7 lit. c AHVV auch Gratifikationen. Ohne Belang ist, ob auf solche Leistungen ein Rechtsanspruch besteht oder nicht (BGE 122 V 362 vom 19. August 1996 E. 3 und 4). Eine Bonuszahlung (ebenso deren anteilsmässige Anrechnung) ist selbst dann zum versicherten Verdienst hinzuzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber ohne jede rechtliche Verpflichtung erbracht worden ist (Urteil des Bundesgerichts 8C_757/2011 vom 21. Dezember 2011 E. 3.4).

III. Urteil 8C_427/2018

Bei einer freiwilligen Leistung des Arbeitgebers handelt es sich um finanzielle Zulagen, die über die gesetzlich zustehenden Zahlungen am Ende eines Arbeitsverhältnisses hinausgehen und i.d.R. zum Ausgleich der negativen Folgen des Arbeitsverlusts dienen (vgl. im vorliegenden Urteil E. 3.4.). Der den Höchstbetrag von aktuell CHF 148´200.00 übersteigende Anteil einer freiwilligen Leistung eines Arbeitgebers schiebt die Anrechnung des Arbeitsausfalls hinaus und eröffnet eine Wartezeit. Das entscheidende Kriterium ist dabei die Freiwilligkeit der Leistung (z.B. in Form einer finanziellen Abgeltung aus einem Sozialplan oder eine im Hinblick auf eine Kündigung vereinbarte Abgangsentschädigung). Keine Freiwilligkeit besteht bei einem gesetzlichen Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung, weshalb die Abgangsentschädigung gemäss Art. 339b OR keine Leistung gemäss Art. 11a AVIG darstellt (Nussbaumer Thomas, Arbeitslosenversicherung, in: Meyer Ulrich (Hrsg.), Soziale Sicherheit, Sécurité sociale, 3. Auflage, Basel 2016, S. 2315 f.).

Die zusätzlichen finanziellen Leistungen, die während des Vertragsverhältnisses des Versicherten ausgerichtet worden sind, beurteilt das Bundesgericht als Bonus und nicht als Grundvergütung. Für die Beurteilung, ob es sich um ein Gehaltselement oder einen Bonus handelt, ist u.a. entscheidend, dass der Bonus und deren Höhe im Ermessen des Arbeitgebers liegen (vgl. im vorliegenden Urteil unter E. 5.3.2.). Sind Anspruch und Höhe eines Bonus vertraglich festgelegt worden, liegt zwingend Lohn vor. Erreicht ein Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele, muss ihm der Bonus bezahlt werden. „Der Bonus wurde in seiner üblichen Ausprägung einer grundsätzlich freiwilligen, von persönlicher und unternehmerischer Zielerreichung abhängigen Leistung als Gratifikation eingestuft“ (Ulli Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Auflage, Zürich 2012,, S. 331 und S. 341). In den Urteilen 4A_485/2016 und 4A_78/2018 fasst das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu Bonuszahlungen zusammen (vgl. im vorliegenden Urteil unter E. 5.2.2.2 ff.): Ist ein Bonus vereinbart oder objektiv bestimmbar (z.B. Anspruch auf einen Anteil am Gewinn oder Umsatz), so hat der Mitarbeiter Anspruch auf diesen Bonus und er muss als variabler Bestandteil des Lohns betrachtet werden. Objektiv bestimmbar bedeutet, dass die Vergütung nicht von der Beurteilung des Arbeitgebers abhängt. Ist der Bonus nicht bestimmt oder objektiv bestimmbar, gilt er in der Regel als freiwillige Leistung, welche im Ermessen des Arbeitgebers liegt und der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch darauf. Erreicht oder übersteigt das gesamte Einkommen des Arbeitnehmers das Fünffache des Schweizer Medianlohns (Privatwirtschaft), ist es als sehr hoch zu qualifizieren, womit der Bonus eine Gratifikation darstellt, die vom Willen des Arbeitgebers abhängt (BGE 141 III 407 vom 11. August 2015, E. 4-7 zum Thema Art. 322 und 322d OR; sehr hohes Einkommen; Qualifikation eines Bonus als Gratifikation oder Lohnbestandteil?).

Im vorliegendenen Entscheid wird bespielhaft aufgezeigt, wie die Unterscheidung zwischen Boni und freiwilligen Abfindungszahlungen bei der Berechnung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung vorgenommen wird und welche Auswirkung diese Vorgehensweise für eine versicherte Person hat. Dieser Rechtsprechung kann angesichts einer derart hohen freiwilligen Abgangsentschädigung nur zugestimmt werden.

iusNet AR-SVR 24.06.2019