Arbeitszeit bei Dienstreisen ins Ausland
Arbeitszeit bei Dienstreisen ins Ausland
Arbeitszeit bei Dienstreisen ins Ausland
4A_403/2018
I. Ausgangslage
Wenn ein Arbeitnehmer für einen Arbeitgeber eine Dienstreise ins Ausland unternimmt, stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es sich dabei ganz oder nur teilweise um Arbeitszeit handelt, die zu vergüten ist, und welche Arbeitszeitvorschriften dabei zu beachten sind. Insbesondere bei längerer Reisezeit und mehrtägigem Aufenthalt im Ausland im Interesse des Arbeitgebers werden diese Fragen aktuell. Oft finden sich auch in Arbeitsverträgen oder in Reglementen, auf die in den Arbeitsverträgen verwiesen wird, Bestimmungen, welche vorsehen, dass nur ein Teil der Dienstreise als Arbeitszeit erfasst werden darf.
II. Anwendbares Recht
Rechtlich gesehen sind an sich alle Dienstreisen ins Ausland als Entsendungen zu qualifizieren; denn wie bei einer «normalen» Entsendung wird auch hier der Arbeitnehmer, der üblicherweise im Inland arbeitet, im Interesse seines inländischen Arbeitgebers für beschränkte Zeit im Ausland tätig.1 Daher ist auch grundsätzlich von einem internationalen Sachverhalt auszugehen und bei der Beantwortung der sich stellenden Fragen auf das IPRG zurückzugreifen.
Wann und wie lange ein Arbeitnehmer zu arbeiten hat, ist nach dem Arbeitsvertragsstatut zu beurteilen,2 d.h. nach dem auf den Fall anwendbaren Recht. Bei der hier untersuchten Ausgangslage, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich in der Schweiz arbeitet und sich ausnahmsweise für eine Dienstreise ins Ausland bewegt, ist gemäss Art. 121 Abs. 3 IPRG von der Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts auszugehen. Bei dieser Konstellation wäre natürlich auch eine Rechtswahl auf das schweizerische Recht zu beachten (Art. 121 Abs. 3 IPRG).
Wie das Bundesgericht in BGE 139 III 411 (E. 2.4) festgestellt hat, gehören zu den anwendbaren Bestimmungen des Schweizer Rechts grundsätzlich auch solche öffentlich-rechtlicher Natur. Ob solche Bestimmungen jedoch auch bei internationalen Konstellationen zur Anwendung kommen, ist nach deren eigenem persönlichen, sachlichen und örtlichen Geltungsbereich zu entscheiden. Entsprechend hat das Bundesgericht die direkte Anwendung des Arbeitsgesetzes auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer verneint.3 Schliesslich hat sich das Bundesgericht auch gegen die indirekte Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes über die Rezeptionsklausel von Art. 342 Abs. 2 OR ausgesprochen.4 Es hat jedoch hervorgehoben, dass es den Parteien unbenommen bleibt, die im Arbeitsgesetzt enthaltenen Verpflichtungen in ihren Arbeitsvertrag aufzunehmen, indem etwa die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes zum Vertragsinhalt erklärt werden. In diesem Zusammenhang gilt es hervorzuheben, dass es im vom Bundesgericht zu entscheidenden Fall um einen Arbeitnehmer ging, der mehrere Jahre für eine Arbeitgeberin mit Sitz in der Schweiz im Ausland tätig war.
Ungeklärt bleibt damit die Frage, ob das Arbeitsgesetz bei nur vorübergehender Tätigkeit im Ausland gleichwohl anwendbar bleibt, wie dies namentlich von Müller/Maduz5 gefordert wird. Genau diese Frage liess das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 11. März 2019 (4A_403/2018, E. 3.) offen, da es mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges in materieller Hinsicht auf den Einwand der Beschwerdeführerin, das Arbeitsgesetz sei auf Geschäftsreisen ins Ausland nicht anwendbar, nicht eingetreten ist.
Auf der anderen Seite gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass ein Arbeitnehmer, welcher sich für eine Dienstreise ins Ausland begibt, dort nicht in einen rechtsfreien Raum tritt, sondern dass dieser Staat auch über öffentlich-rechtliche Bestimmungen, die namentlich die Arbeitszeit regeln, verfügt, die auf seinem Staatsgebiet zwingend Geltung beanspruchen. Gemäss Art. 125 IPRG sind diese Bestimmungen denn grundsätzlich auch zu beachten.6 Gestützt auf Art. 19 IPRG kann der Arbeitnehmer sodann auch die zivilrechtlichen Ansprüche, so etwa die Vergütung für Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeit – so diese denn zwingend angewandt sein wollen – vor dem Schweizer Richter geltend machen.7
III. Zusammenfassende Würdigung
Wie verlockend aus Praktikabilitätsgründen der Ansatz auch sein könnte, für kurze Dienstreisen von der Schweiz ins Ausland das Schweizer Arbeitsgesetzt als anwendbar anzusehen, lässt sich dieser rechtlich nicht begründen. Unter Beachtung des Territorialitätsprinzips – das es hier zu beachten gilt – kann nur bei einer klaren Entscheidung des Gesetzgebers ausnahmsweise das Auswirkungsprinzip befolgt werden und öffentliches Recht der Schweiz auch auf Sachverhalte angewendet werden, die sich im Ausland verwirklicht haben.8
Damit können die Parteien für Dienstreisen ins Ausland grundsätzlich losgelöst von den Regelungen des Schweizer Arbeitsgesetzes Regelungen treffen. Jedoch müssen sich die Parteien darüber im Klaren sein, dass die zwingenden Arbeitszeitvorschriften am ausländischen Einsatzort zu beachten sind und deren Einhaltung von den ausländischen Behörden auch überprüft werden können. Werden im umgekehrten Fall Arbeitnehmer von ausländischen Arbeitgebern in die Schweiz entsandt, ergibt sich der zwingende Anwendungswille der schweizerischen Arbeitszeitvorschriften bzw. des Arbeitsgesetztes aus Art. 2 EntsG oder generell aus Art. 1 Abs. 3 ArG.9
- 1. Roger Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, 2. Aufl., Zürich 2018, Rz. 36.
- 2. Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, Rz. 556.
- 3. BGE 139 III 411, E. 2.4.
- 4. BGE 139 III 411, E. 2.5.
- 5. Roland A. Müller/Christian Maduz, OFK, ArG Kommentar, 8. Aufl., Zürich 2017, N. 14 zu Art. 1 ArG.
- 6. Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, Rz. 556; Roger Hischier, Arbeitnehmerschutz und zwingende Bestimmungen im internationalen Arbeitsrecht, in: Arbeit und Arbeitsrecht, Festschrift für Thomas Geiser zum 65. Geburtstag, Zürich/St. Gallen 2017, S. 148.
- 7. Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, Rz. 557; Hischier, Arbeitnehmerschutz, S. 148.
- 8. Roland Bachmann, in: Kurzkommentar ArG, Basel 2018, N 24 zu Art. 1 ArG.
- 9. Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, Rz. 557.