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Cluster-Kopfschmerz und Indikatorenkatalog (8C_350/2017)

Cluster-Kopfschmerz und Indikatorenkatalog (8C_350/2017)

Rechtsprechung
Invalidenversicherung

Cluster-Kopfschmerz und Indikatorenkatalog (8C_350/2017)

In diesem in 3-er Besetzung ergangenen Entscheid befasst sich das Bundesgericht mit der Rüge der beschwerdeführenden IV-Stelle, wonach auch bei Cluster-Kopfschmerz eine Indikatorenprüfung nach BGE 141 V 281 durchzuführen sei (E. 5.1).

Das Bundesgericht äussert sich zunächst zur Krankheit Cluster-Kopfschmerz (E. 5.2) und hält in diesem Zusammenhang fest, dass es sich bei Cluster-Kopfschmerz gemäss aktuellem medizinischem Erkenntnisstand um ein organisch bedingtes Leiden handelt (E. 5.3). Es fällt daher nicht in den Anwendungsbereich des strukturierten Beweisverfahrens nach BGE 141 V 281, das jüngst über somatoforme Schmerzstörungen und vergleichbare psychosomatische Leiden hinaus auf sämtliche psychische Leiden für anwendbar erklärt wurde (E. 5.3 mit Hinweis auf BGer-Urteil 8C_130/2017 vom 30. November 2017).

Weitergehend geht das IV-Rundschreiben Nr. 339 vom 9. September 2015 dahin, das strukturierte Beweisverfahren auf sämtliche Leiden anzuwenden. In der Lehre wird mitunter die Auffassung vertreten, die Indikatorenprüfung sei ganz allgemein bei solchen Beschwerdebildern sinnvoll, die sich am betroffenen Menschen nicht objektivieren lassen und bei denen es darum geht, die Beweislücken zwischen strukturellem Befund und funktioneller Folge zu schliessen (E. 5.3).

Das Bundesgericht hält fest, dass es sich beim Cluster-Kopfschmerz nicht nur um ein organisches, sondern grundsätzlich auch um ein objektivierbares Leiden handelt, wobei sein Nachweis in erster Linie empirisch-klinisch sowie anamnestisch und nicht etwa bildgebend und/oder apparativ zu erbringen ist. Dies spreche gegen die Notwendigkeit der Durchführung eines strukturierten Beweisverfahrens nach Massgabe der einschlägigen Indikatoren (zum Ganzen E. 5.4).

Anschliessend umreisst das Bundesgericht die beweismässigen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit bei Cluster Kopfschmerz ein Rentenanspruch bejaht werden kann (E. 5.4):

  • Zur Herleitung und Begründung der Diagnose: Die Symptome und ihre Auswirkungen sind möglichst genau und umfassend zu erheben und die entsprechenden Befunde zu dokumentieren, insbesondere auch, was deren Häufigkeit und Ausprägung über einen längeren Verlauf hinweg anbelangt. Dabei ist im Bedarfsfall, soweit nicht schon durch die medizinischen Akten dokumentiert oder durch eigene Beobachtung gesichert, auf fremdanamnestische Angaben zurückzugreifen.
  • Zur Folgenabschätzung (die Auswirkungen der Störung auf das Leistungsvermögen und die Arbeitsfähigkeit): Es bedarf im Rahmen der Begutachtung des konsistenten Nachweises mittels einer sorgfältigen Plausibilitätsprüfung.

Diese Anforderungen waren vorliegend nicht erfüllt, weil das Ausmass, insbesondere die Frequenz und die Ausprägung der Attacken nach der Aktenlage nicht erstellt war(en) (E. 5.5). Da noch nicht alle Möglichkeiten fachgerechter Exploration ausgeschöpft waren (vgl. BGE 140 V 290 E. 4.1 S. 296), erfolgte eine Rückweisung an die Vorinstanz (E. 5.5.4).

iusNet AR-SVR 31.12.2017