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Aufhebung einer Hilflosenentschädigung (9C_248/2017)

Aufhebung einer Hilflosenentschädigung (9C_248/2017)

Rechtsprechung
Invalidenversicherung
Allgemeines Sozialversicherungsrecht (ATSG)

Aufhebung einer Hilflosenentschädigung (9C_248/2017)

In diesem in 3-er Besetzung ergangenen Urteil ging es um eine Hilflosenentschädigung, die gestützt auf eine vom Bundesgericht als zulässig eingestufte Observation aufgehoben wurde.

Sachverhalt: Im Oktober 2012 machte die Versichert eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes geltend. Die IV-Stellte klärte die Verhältnisse am 11. Dezember 2012 vor Ort ab und liess die Versicherte zwischen 27. Juni 2013 und 7. Januar 2014 acht Tage observieren. Mit Verfügung vom 3. September 2014 wurde die Hilflosenentschädigung per Ende Juni 2014 sistiert. In der Folge ordnete die IV-Stelle eine polydisziplinäre Begutachtung beim ABI an und hob die Hilflosenentschädigung mit Verfügung vom 6. Juni 2016 rückwirkend auf den 1. Juni 2013 auf.

Die Vorinstanz gab der Versicherten teilweise Recht und liess eine Aufhebung der Hilflosenentschädigung auf Anfang Juli 2014 (= Sistierungszeitpunkt) zu. Dagegen opponierte die Versicherte vor Bundesgericht. 

Erwägungen: Das gesamte Rentenrevisionsrecht nach Art. 17 ATSG ist auf die Hilflosenentschädigung nach Art. 42 IVG sinngemäss anwendbar (Art. 86ter ff. IVV) (E. 3.2). Entsprechend setzt die umfassende Neuprüfung des Anspruchs auf Hilflosentschädigung eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse voraus (Revisionsgrund), wozu sich die Vorinstanz zu Unrecht nicht geäussert hatte (E. 5.2). Das Bundesgericht ergänzte den liquiden Sachverhalt und bejahte das Vorliegen eines Revisionsgrundes (E. 5.2.2 am Ende).

Gestützt auf das ABI-Gutachten war der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung zu verneinen (E. 6). Eine Indikatorenprüfung nach BGE 141 V 281 war vorliegend nicht durchzuführen, da nicht die Arbeitsfähigkeit, sondern der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung und die Frage nach allfälligen Einschränkungen in den Lebensverrichtungen strittig war (E. 6.2.2).

Zu prüfen blieb, ob die Vorinstanz die Hilflosenentschädigung zu Recht auf den 1. Juli 2014 aufhob (E. 7.). Gesetzlich geregelt ist dies in Art. 88bis IVV. Demnach ist eine Aufhebung grundsätzlich nur pro futuro möglich (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV), wobei die Bestimmung eine rückwirkende Aufhebung bei unrechtmässiger Erwirkung der Leistung oder Verletzung der Meldepflicht ausnahmsweise zulässt (Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV; E. 7.1).

Die Meldepflicht richtet sich nach Art. 77 IVV; eine Verletzung setzt ein schuldhaftes Fehlverhalten voraus, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit genügt (E. 7.1). Zur Meldepflichtverletzung äusserte sich die Vorinstanz nicht, wobei die Sache für das Bundesgericht liquide war: Bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte der Versicherten bewusst sein müssen, dass sich ihre gesundheitliche Situation in den für die Hilflosenentschädigung entscheidenden Bereichen verbessert hatte (E. 7.2).

Falsch gewählt hatte die Vorinstanz den Aufhebungszeitpunkt. Denn die Einstellung der Hilflosenentschädigung als vorsorgliche Massnahme ist nicht geeignet, alleinige Grundlage für den Zeitpunkt der rückwirkenden Aufhebung zu bilden (E. 7.3). Entscheidend war der Zeitpunkt der Gesundheitsverbesserung, welchen die Vorinstanz auf den Untersuchungszeitpunkt durch das ABI (August 2015) festlegte (E. 7.2). Der Anspruch auf Hilflosenentschädigung entfiel demnach ab 1. September 2015 (E. 7.3).

Bemerkungen der Redaktion: Prozessual ist bemerkenswert, dass das Bundesgericht trotz zweifacher Sachverhaltsergänzung (Vorliegen Revisionsgrund; Meldepflichtverletzung) und abweichender rechtlicher Beurteilung (Aufhebungszeitpunkt) auf einen Schriftenwechsel verzichtete (E. 8.1).

iusNet AR-SVR 14.03.2018