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Für die Schwellenwerte massgebende Kündigungen

Für die Schwellenwerte massgebende Kündigungen

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Kollektives Arbeitsrecht

Für die Schwellenwerte massgebende Kündigungen

4A_8/2019

I.    Einleitung

Dem Nichteintretensentscheid ist zu entnehmen, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer am 21. Mai 2015 eingestellt hatte und gegen ihn am 2. August 2016 die Kündigung mit Wirkung per 31. Oktober 2016 aussprach. Vor dieser Kündigung hatte die Arbeitgeberin in einem Schreiben vom 16. Juni 2016 der Belegschaft mitgeteilt, dass sie vorhabe, eine Massenentlassung durchzuführen. Sie kündigte in diesem Schreiben unter Angabe der wesentlichen Eckpunkte auch an, dass es einen Sozialplan geben würde. Sie hielt ausdrücklich fest, dass Arbeitnehmende, welche aufgrund schlechten Verhaltens oder unbefriedigenden Leistungen entlassen wurden, nicht von den Sozialplanleistungen profitieren würden. Der Arbeitnehmer machte Forderungen aus Sozialplan geltend. Die Vorinstanz folgte im Gegensatz zur ersten Instanz vollumfänglich der Argumentation der Arbeitgeberin, wonach der Arbeitnehmer keinerlei Leistungen aus Sozialplan erwarten dürfe, weil er wegen mangelhafter Leistungen entlassen worden sei.

An diesem naturgemäss sehr knapp gehaltenen Sachverhalt lässt sich die grundsätzliche Frage aufarbeiten, wie Entlassungen aufgrund von schlechten Leistungen bei Erfassung der Schwellenwerte für die Massenentlassung und den Sozialplan zu behandeln sind. Zunächst ist dafür darzulegen, an welcher Stelle der Kündigungsgrund relevant ist, um in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob dieser auch die Ansprüche aus Sozialplan beeinflussen kann.

II.    Schwellenwerte

Im Rahmen von Umstrukturierungen sind die sogenannten Schwellenwerte an verschiedener Stelle relevant. So bestimmt sich, ob eine Massenentlassung vorliegt gestützt auf Art. 335d OR anhand der in einem Zeitraum von 30 Tagen von der Arbeitgeberin ausgesprochenen Kündigungen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, gemessen an der Anzahl üblicherweise Beschäftigter. Sind die Schwellenwerte erreicht, ist das Konsultationsverfahren im Sinne von Art. 335f OR mit der Arbeitnehmervertretung, und wenn keine vorhanden ist, mit der Belegschaft direkt durchzuführen (Art. 335f OR). Art. 335i Abs. 1 OR auferlegt der Arbeitgeberin die Pflicht, einen Sozialplan zu erarbeiten, wenn das Unternehmen mindestens 250 Arbeitnehmende beschäftigt und innerhalb von 30 Tagen 30 Kündigungen ausspricht. Je nachdem, ob die Arbeitgeberin direkt Partei eines Gesamtarbeitsvertrags ist oder nicht, verhandelt sie mit der Gewerkschaft oder mit der Arbeitnehmervertretung, bzw. wenn keine vorhanden ist, direkt mit der Belegschaft (Art. 335i Abs. 3 OR). Ziel der Konsultation nach Art. 335f OR ist die Verhinderung von Kündigungen oder die Milderung deren Folgen, was nach der Idee des Gesetzgebers auch ein Sozialplan sein kann. Deshalb wird vorliegend die Aushandlung eines Sozialplans i.S.v. Art. 335i OR oder gestützt auf GAV, zumindest wenn die Verhandlung mit der Arbeitnehmervertretung bzw. der Belegschaft stattfindet, als Teil des Konsultationsverfahrens verstanden. Zu beachten ist, dass Gesamtarbeitsverträge die Sozialplanpflicht oft bei tieferen Schwellenwerten ansetzen als Art. 335i Abs. 1 OR (so z.B. Art. 28 i.V.m. Art. 24 LMV-Bauhauptgewerbe1).

Art. 335i OR verwendet die Begriffe «Arbeitgeber», «üblicherweise beschäftigt», «beabsichtigt, … zu kündigen», ohne sie näher zu definieren. Nicht jede Massenentlassung löst eine Sozialplanpflicht aus, aber die gesetzliche Sozialplanpflicht kommt ausschliesslich im Rahmen von Massenentlassungen vor. Deshalb und weil vorliegend die Aushandlung des Sozialplans bei Massenentlassungen als Teil des Konsultationsverfahrens verstanden wird, drängt es sich auf, diese Begriffe und deren Auslegung analog zu den Schwellenwerten für die Massenentlassung selbst nach Art. 335d OR zu verwenden. Das Gleiche gilt m.E. für von GAV vorgesehene Sozialpläne, sofern darin für die genannten Begriffe keine abweichende Definition zu finden ist2.

Das für die Massenentlassung als Rahmengesetz konzipierte Mitwirkungsgesetz stellt ebenfalls Quoren auf. Es geht beispielsweise von einer gewissen Anzahl Beschäftigter aus, welche die Wahl einer Arbeitnehmervertretung verlangen können (Art. 5 MitwG). Daraus ergibt sich, welche Art der Arbeitsverhältnisse hierzu gezählt werden dürfen und insbesondere wie das Arbeitsverhältnis ausgestaltet sein muss, damit jemand in die Arbeitnehmervertretung gewählt werden kann. Diese Fragen stehen vorliegend nicht im Vordergrund, weshalb nicht näher darauf einzugehen ist.

III.    Kündigungen, die im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmer stehen

Für die Schwellenwerte nach Art. 335d OR sind einzig die Kündigungen massgebend, «die in keinem Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmers stehen». Damit sind arbeitgeberseitige Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen gemeint, somit Kündigungen, die von der Arbeitgeberin ausgehen und ausschliesslich mit der Betriebsführung zusammenhängen. Dies können wirtschaftlich bedingte oder aus technischen, organisatorischen Gründen nötige Kündigungen sein3.

Daraus ergibt sich, dass von der Arbeitgeberin ausgesprochene Kündigungen vom Anwendungsbereich von Art. 335d OR ausgeschlossen sind, die auf die Leistungen, das Verhalten oder die Qualität der Arbeit des Arbeitnehmers zurückzuführen sind4. Kommt der Arbeitnehmer den arbeitsplatzbezogenen Anforderungen nicht mehr nach, weil er mit den technologischen Veränderungen überfordert ist, liegt eine von Art. 335d OR erfasste Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen vor5. Ist jedoch die Mehrzahl seiner Arbeitskollegen den neuen technologischen Anforderungen gewachsen, kann unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls die Kündigung in seiner Person liegen und aus dem Anwendungsbereich von Art. 335d OR fallen. Sie liegt somit erst dann in der Person des Arbeitnehmers, wenn er seine Aufgaben aus Gründen, die mit ihm selbst zusammenhängen, nicht erfüllt6.

In der Praxis werden im Rahmen von Umstrukturierungen Kündigungen teilweise gleichzeitig sowohl aus betrieblichen als auch aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen ausgesprochen. Plant die Arbeitgeberin Massenentlassungen, drängt es sich unter Umständen auf, einen Selektionsentscheid zu treffen und zunächst die Mitarbeitenden zu entlassen, die durch Fehlverhalten oder ungenügende Leistungen aufgefallen sind, insbesondere um die guten, leistungsfähigen und langjährigen Mitarbeitenden trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten weiterbeschäftigen zu können. Fällt die Wahl auf die besagten «schlechteren» Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Leitungsentscheid, eine grosse Anzahl Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen auszusprechen, sind diese nur zu den Schwellenwerten zu zählen, wenn die Arbeitgeberin diesen spezifischen Mitarbeitern auch ausschliesslich bei Vorliegen wirtschaftlicher Gründe gekündigt hätte7Meyer geht einen Schritt weiter und zählt alle Kündigungen zu den Schwellenwerten, sofern sie nicht ausschliesslich personenbezogen sind. Diese in der Sache grundsätzlich begrüssenswerte Überlegung lässt sich bisher jedoch weder auf den Wortlaut des Gesetzes noch auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung stützen8.

Da für die Schwellenwerte nach Art. 335i OR und in GAV nach der hier vertretenen Auffassung in Bezug auf die massgebenden Kündigungen auf die Auslegung nach Art. 335d OR zurückzugreifen ist, gelten dieselben Überlegungen für das Erreichen der Schwellenwerte für die Sozialplanpflicht.

IV.    Beschränkungen von Leistungen aus Sozialplan für einzelne Arbeitnehmergruppen

Im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis besteht ausserhalb des GlG kein ausdrücklich festgehaltenes Gleichbehandlungsgebot9. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass Arbeitgebende nicht verpflichtet sind, sämtliche Arbeitnehmenden gleich zu behandeln. Deshalb ist im Rahmen der Vertragsfreiheit beispielsweise die Auszahlung von unterschiedlich hohen Löhnen zulässig, auch wenn die Arbeitnehmer denselben Stellenbeschrieb haben. Hingegen ist es unzulässig, einen Einzelnen oder eine Einzelne gegenüber einer Mehrzahl anderer ohne objektive Gründe schlechterzustellen. Dahingehend ist das Gleichbehandlungsgebot im Arbeitsrecht zu verstehen10. Das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot gilt auch im Anwendungsbereich von Sozialplänen. Die Ein- oder Ausschlussgründe dürfen weder willkürlich noch gesetzeswidrig sein, noch die Persönlichkeitsrechte einzelner Arbeitnehmender verletzen. Es ist zulässig, gewisse Arbeitnehmerkategorien vom Anwendungsbereich des Sozialplans auszunehmen oder Ein- oder Ausschlusskriterien zu bestimmen. Dafür müssen aber objektiv erkennbare, sachliche Gründe vorliegen. Arbeitnehmende in einer vergleichbaren Ausgangslage sind auch gleich zu behandeln11. Sachliche Unterscheidungskriterien können die hierarchische Stellung, die Funktion und das damit einhergehende Lohnniveau, die Dienstdauer, die Ausbildung und die familiäre Situation sein. Das Gleichbehandlungsgebot kann beispielsweise gebieten, sämtlichen Arbeitnehmenden mit den gleichen Merkmalen die Frühpensionierung zu ermöglichen. Es wird beispielsweise nicht verletzt, wenn die Möglichkeit der Frühpensionierung einzig den Mitgliedern des höheren Kaders versagt wird12. Zulässig ist es auch, Arbeitnehmer anders zu behandeln oder vom Sozialplan auszuschliessen, die durch Vermittlung der Arbeitgeberin einen neuen Arbeitsplatz finden bzw. eine derartige zumutbare Neuanstellung ablehnen13.

Ein weiterer objektiv erkennbarer Grund, der m.E. aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes nicht zwingend von der Arbeitgeberin erwähnt werden müsste, liegt vor, wenn die Entlassung zwar zeitlich in die Umstrukturierung hineinfällt, damit aber nicht im Zusammenhang steht. Wenn die Kündigung aufgrund der ungenügenden Leistung oder des schlechten Verhaltens des Arbeitnehmers unabhängig von der bevorstehenden Umstrukturierung ausgesprochen worden wäre, fällt sie wie dargelegt nicht in die Schwellenwerte nach Art. 335d OR, welche die Konsultation und damit den Sozialplan nach sich ziehen. Deshalb können solche Arbeitnehmer keine Ansprüche aus Sozialplan ableiten, ausser die Arbeitgeberin hätte etwas anderes versprochen. Das Vorschieben von auf die Person des Arbeitnehmers zurückzuführenden Gründen zur Verhinderung von Ansprüchen aus Sozialplan stellt eine Rechtsumgehung dar. Eine derartige Kündigung ist gestützt auf Art. 336 Abs. 1 lit. c OR missbräuchlich, weil sie ausgesprochen wurde, um die Entstehung von Ansprüchen der anderen Partei aus dem Arbeitsverhältnis zu vereiteln. Ein Anhaltspunkt dafür könnte sein, dass mehreren Arbeitnehmern zur gleichen Zeit mit Verweis auf schlechte Leistungen gekündigt wird.

 

  • 1. Landesmantelvertrag für das schweizerische Bauhauptgewerbe.
  • 2. Sara Licci, Die Massenentlassung im schweizerischen Recht: Schwellenwerte, Konsultation und Sozialplan unter Berücksichtigung des Arbeitsrechts der Europäischen Union und des Arbeitsvölkerrechts, Diss. Bern, Zürich 2018, nachfolgend Licci, Massenentlassung, Rz. 22.9
  • 3. Licci, Massenentlassung, Rz. 65.
  • 4. Licci, Massenentlassung, Rz. 65; statt vieler: Wolfgang Portmann/Jean-Fritz Stöckli, Schweizerisches Arbeitsrecht, 3. Aufl., Zürich 2013, Rz. 735; Ullin Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012 N 6 zu Art. 335d OR.
  • 5. Licci, Massenentlassung, Rz. 65; Lienhard Meyer, Die Massenentlassung, Nach dem Schweizerischen Obligationenrecht unter Berücksichtigung der Rechtsordnungen der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland, Diss. Basel, Basel 1999, S. 96; Roland A. Müller, Die Arbeitnehmervertretung, Habil. Zürich, Bern 1999, S. 290.
  • 6. Meyer, S. 96; Licci, Rz. 65.
  • 7. BGer, Urteil 4A_117/2007 vom 13.9.2007; Streiff/von Kaenel/Rudolph, N 6 zu Art. 335d OR; Meyer, S. 87; a.M. Jürg Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319–343 OR, 3. Aufl., Basel 2014, N 1 zu Art. 335d OR; noch weitergehend, Meyer, S. 87.
  • 8. BGer, Urteil 4A_117/2007 vom 13.9.2007; Streiff/von Kaenel/Rudolph, N 6 zu Art. 335d OR.
  • 9. Dieser Absatz (24 Zeilen) entspricht wörtlich Licci, Massentlassungen, Rz. 263.
  • 10. BGE 130 V 18, inbes. E. 5.
  • 11. Eva Maria Bäni, Sozialplanpflicht und weitere Auswirkungen des Sanierungsrechts auf das Arbeitsrecht, in: ArbR 2013, S. 79 ff., S. 91; Daniel Klingenberg, Die Betriebsschliessung, Diss. Basel, Zürich 1986, S. 42; Isabelle Wildhaber, Die neue Sozialplanpflicht – für die Praxis ein Buch mit sieben Siegeln, in: AJP 24 (2015), S. 427 ff., S. 3; Isabelle Wildhaber, Das Arbeitsrecht bei Umstrukturierungen, Habil. Berlin, Zürich/Basel/Genf 2011, S. 356 f.
  • 12. Rémy Wyler/Boris Heinzer, Droit du travail, 3. A., Bern 2014, S. 558.
  • 13. Wyler/Heinzer, S. 558; Jean Christophe Schwaab, Les nouvelles règles sur les plans sociaux obligatoires (art. 335h–k CO), in: ARV 2013, S. 281 ff., S. 283.
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