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Die Covid-Pandemie

Die Covid-Pandemie

Kommentierung
Privates Individualarbeitsrecht

Die Covid-Pandemie

ein Update für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

I. Eigenverantwortung der Arbeitgebenden

Arbeitgebende sind nicht nur in Pandemie-Zeiten, sondern immer verpflichtet, alle Massnahmen zu treffen, die für den Schutz der Mitarbeitenden notwendig und gemäss dem Wissensstand geeignet sowie angemessen sind (Art. 6 ArG, Art. 328 OR). Es geht gleichermassen um die Abwendung von physischen und psychischen Gesundheitsrisiken; das kann wie für Covid relevant Schutz vor biologischen Einflüssen sein, es wird aber auch explizit erwähnt, dass übermässig starke oder allzu einseitige Beanspruchung vermieden wird und die Arbeit geeignet organisiert werden soll (Art. 2 ArGV3).

Die Arbeitgebenden tragen also die Verantwortung, dass wegen Arbeitsbedingungen niemand krank wird oder verunfallt. Die Mitarbeitenden oder die Arbeitnehmendenvertretung haben zudem ein Mitsprachrecht «in allen Fragen des Gesundheitsschutzes» (Art. 48 ArG). Insofern besteht also ein Mitspracherecht, wenn es um betriebliche Covid-Massnahmen geht, um Homeoffice, um die Gestaltung von Arbeitsräumen, aber immer auch, um Arbeitszeiten, Stundenpläne, Nachtarbeit, denn all das betrifft die Gesundheit. Arbeitnehmende ihrerseits sind verpflichtet, bezüglich der Umsetzung der Schutzmassnahmen aktiv mitzuwirken (Art. 10 ArGV3). Das entbindet aber Vorgesetzte gem. Art. 3 ArGV3 nicht davon, auf die Einhaltung der Massnahmen zu pochen (z.B. Maske tragen, Abstand einhalten).

Diese Rechtslage ist der Grund, weshalb der Bundesrat lange zurückhaltend war, den Betrieben konkrete Schutzmassnahmen wie Homeoffice-Pflicht vorzuschreiben. Denn die rechtliche Schutzpflicht im Arbeitsverhältnis bestand ja bereits. Es ist und bleibt in der Eigenverantwortung der Arbeitgebenden, die Risiken in ihren Betrieben zu analysieren und Schutzmassnahmen bezogen auf die konkreten Verhältnisse zu treffen. Anders ist das im öffentlichen Bereich. Hier musste der Bund mit Covid-Verordnungen und Covid-Gesetz Vorgaben zum Schutz von Kundinnen und Kunden bzw. der Öffentlichkeit machen und die Erarbeitung von Schutzkonzepten vorschreiben.

II. Risikoanalysen

Die Wahrnehmung der gesetzlichen Präventionspflicht durch die Unternehmen setzt eine Gefährdungsermittlung voraus. Eine solche Risiko-Analyse und insbesondere deren schriftliche Dokumentation ist in der Schweiz, anders als in der EU, nicht generell vorgeschrieben (nur bezüglich Mutterschutzes und für Betriebe mit grossen Unfall- und Berufskrankheits-Gefahren). So lässt sich erklären, dass im Vergleich mit 33 europäischen Ländern Unternehmen in der Schweiz am wenigsten Gefährdungsbeurteilungen vornehmen; nur knapp 40% der Schweizer Unternehmen haben überhaupt Erfahrung mit Risikoanalysen und diese dürften sich in den meisten Fällen auf Unfallrisiken beschränken.1 Die mangelnde Erfahrung (und Routine) in systematischer Gesundheitsprävention schlug sich denn auch in z.T. hilflosem und dilettantischem Umgang mit der Pandemie nieder.

Als Lehre aus Corona könnte resultieren, dass wir uns in der Schweiz auch in diesem Punkt den Gepflogenheiten in der EU annähern und flächendeckend regelmässige schriftliche Gefährdungsanalysen verlangen sollten. Ein gewisser Zwang könnte sicherstellen, dass sich Unternehmen kontinuierlich mit dem Thema Gesundheit am Arbeitsplatz befassen und Routine entwickeln im sachgerechten Umgang mit Gesundheitsrisiken. In Gefährdungsanalysen hätte nämlich der Stand des Wissens über Risiken einfliessen können: Im Risikobericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz von 2015 ist «Pandemie» nach Stromausfall als das zweitwichtigste Risiko genannt worden.2 Bei systematisch risikobasiertem Vorgehen hätte sich also niemand von Corona überrumpeln lassen müssen. Die Unternehmen hätten vielleicht auch den speziell für sie konzipierten Pandemieplan ernster genommen, der von mehreren Arbeitgeberverbänden unterstützt und mehrmals überarbeitet worden war.3

III. Interessenkonflikte

Wir konnten beobachten, dass zu Beginn der Pandemie Gesundheit und Wirtschaft in einem starken Gegensatz gesehen wurden – als entweder / oder. Aus juristischer Sicht, ist vielmehr ein sowohl / als auch am Platz: Denn die Wirtschaftsfreiheit und der Schutz von Arbeitnehmenden stehen auf gleicher verfassungsmässiger Stufe und sind Aufgaben des Bundes, die gleichermassen zu erfüllen sind (Art. 27 und 110 BV). Das Bundesgericht sagt es (in anderem Zusammenhang) so: «Es gilt Lösungen zu finden, bei denen alle Regelungen möglichst gleichzeitig und vollumfänglich zum Zuge kommen und das Ergebnis gesamthaft sinnvoll ist.»4

Eine nachhaltige Wirtschaft braucht gesunde Menschen und diese brauchen Arbeitsplätze, die sie nicht krank machen. Den Verfassungsauftrag für Schutz der Arbeitnehmenden hat der Bund insbesondere im ArG normiert aber auch durch zwingende Bestimmungen im OR. Der Schutz der Arbeitnehmenden beruht somit auf zwei Pfeilern: auf öffentlich-rechtlichen privatrechtlichen Gesetzesgrundlagen, so dass es auch unterschiedliche Wege der Rechtsdurchsetzung gibt.

VI. Rechtsdurchsetzung

Bei der Durchsetzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht umschreibt der Staat diese Pflichten im OR und stellt seinen Justizapparat zur Verfügung, damit diese gerichtlich durchgesetzt werden können, namentlich die Erfüllung der Fürsorgepflicht und eine finanzielle Haftung bei ihrer Missachtung (Art. 328 i.V.m. Art. 97 ff. OR). Hier geht es also i.d.R. darum, bei bereits eingetretenen Schadenfällen einen gerechten finanziellen Ausgleich zu finden.

Das öffentliche Arbeitsschutzrecht auferlegt den Betrieben Pflichten, die dann von staatlichen Behörden überwacht und gegebenenfalls sanktioniert werden. Die Arbeitsinspektorate können von sich aus einschreiten, in der Praxis reagieren sie aber oft erst auf Meldungen hin. Der Staat übt hier also eine polizeiliche Funktion aus; es geht primär darum, künftige Probleme frühzeitig zu vermeiden.

Je besser der öffentliche Arbeitsschutz funktioniert, desto weniger sind betroffene Arbeitnehmende unter Druck, sich als Einzelne zivilrechtlich für ihre Rechte einsetzen zu müssen. Und darum ist es wichtig, dass künftig dem Arbeitsschutz mehr Beachtung geschenkt wird.

V. Besonders Gefährdete

Speziell exponiert waren und sind besonders gefährdete Arbeitnehmende. Menschen mit einer angeschlagenen Gesundheit sind besonders darauf angewiesen, dass die Mindeststandards der Schutzbestimmungen eingehalten werden, da sie in der Regel weniger Ressourcen haben, um mit übermässigen Belastungen umzugehen.

Während der ausserordentlichen Lage in der ersten Welle und nach einem Unterbruch wieder in der zweiten Welle der Corona-Pandemie waren Arbeitnehmende mit gewissen Vorerkrankungen einem besonderen rechtlichen Schutz unterstellt (Art. 27a Covid-19-VO3, SR 818.101.24). Eigentlich wurde damit aber die allgemein geltende Rechtslage von Art. 328 OR konkretisiert: Nach Abs. 1 dieser Bestimmung sind zum Schutz der Arbeitnehmenden bezüglich Gesundheit und persönlicher Integrität Massnahmen zu treffen, die geeignet, erforderlich und zumutbar bzw. verhältnismässig sind (analog Art. 6 Abs. 1 ArG). Zudem sind nach Art. 328 Abs. 2 OR Massnahmen zu treffen soweit es dem Arbeitgeber «mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden kann». Bei «Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis» geht es um den Schutz der konkreten Vertragspartei also eines Individuums mit u.U. spezifischen Bedürfnissen. Demzufolge sind Arbeitnehmende mit Vorerkrankungen (nicht nur in Pandemie-Zeiten) spezifischer zu schützen als gesunde Arbeitnehmende. Das hat auch das Bundesgericht im bekannten «Rauchallergiker-Fall» bestätigt (BGE 132 III 257, E. 5).

VI. Fazit

Mit allem Leid, das die Pandemie gebracht hat, ist doch zu hoffen, dass die rechtlichen Vorgaben für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wieder vielen Unternehmensverantwortlichen und Mitarbeitenden in Erinnerung gerufen wurden und diese in Zukunft mehr Beachtung bekommen. Wahrscheinlich haben auch einige Vorgesetzte im Verlauf der letzten Monate realisiert, dass es nicht nur gilt, die physische, sondern ebenso die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden nachhaltig zu schützen. Das wird ohnehin immer wichtiger in Zeiten, in denen über eine Verlängerung des Arbeitslebens zur Erhaltung der Vorsorgewerke diskutiert wird.

  • 1. EU-OSHA, European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks (ESENER 2019) background briefing, S. 8.
  • 2. Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Hrsg.), Katastrophen und Notlagen Schweiz, Technischer Risikobericht, 2015, S. 21 f.
  • 3. Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.), Pandemieplan, Handbuch für die betriebliche Vorbereitung, 3. Aufl. 2019.
  • 4. BGE 117 Ib 28 E. 2 S. 31, Samnaun.
iusNet AR-SVR 06.05.2021