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Keine diskriminierende Besoldung von Zürcher Kindergärtnerinnen (8C_696/2016)

Keine diskriminierende Besoldung von Zürcher Kindergärtnerinnen (8C_696/2016)

Kommentierung
Öffentliches Personalrecht

Keine diskriminierende Besoldung von Zürcher Kindergärtnerinnen (8C_696/2016)

Zusammenfassung des Urteils

Der Verband Kindergarten Zürich (VKZ), die Gewerkschaft VPOD und der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) sowie mehrere Einzelklägerinnen verlangten 2014 beim Kanton Zürich eine diskriminierungsfreie, (höhere) Besoldung der Kindergärtnerinnen. Mit dem Argument, seit der letzten gerichtlichen Überprüfung (BGE 125 II 530) seien die Anforderungen sowohl in Ausbildung wie in Berufstätigkeit auf Kindergartenstufe gestiegen, drangen die Beschwerdeführenden aber weder vor dem kantonalen Verwaltungsgericht noch vor Bundesgericht durch.

Die Begründung des Urteils, welches das Bundesgericht im September 2017 nach einer öffentlichen Beratung mit 3:2 Stimmen fällte (NZZ vom 20.9.2017, S. 18), liegt nun schriftlich vor. Danach bestehe keine geschlechtsspezifische Benachteiligung von Kindergärtnerinnen, da die tieferen Gewichtungen ihrer Ausbildung und Arbeitszeit im Vergleich zu Berufsschullehrern und anderen männlich geprägten Berufen in der Verwaltung sachlich gerechtfertigt seien.

Vergleich der Ausbildung und Erfahrung

Die Ausbildung für Kindergarten-Lehrkräfte erfolgt neuerdings an einer Pädagogischen Hochschule und schliesst mit einem Bachelor ab. Gemäss der kantonale Wertungshilfe für die Lohnklasseneinreihung mit einer Vereinfachten Funktionsanalyse (VFA) sollte ein «Studienabschluss mit Bachelor (180 ECTS-Punkte)» mit 3 Punkten bewertet werden; für die Bachelor-Ausbildung der Kindergärtnerinnen an der PH wurden allerdings nur 2,5 Wertungspunkte vergeben. Laut Bundesgericht ist das nicht diskriminierend. Zum einen seien ja immer noch Kindergärtnerinnen mit der früheren Ausbildung zur Berufsausübung zugelassen und zum anderen sei die Ausbildung nicht anspruchsvoller geworden, nur weil sie nun an der PH stattfinde und mit einem Bachelor abschliesse. Mit «Studienabschluss» sei bei der VFA nur ein Abschluss an einer Universität gemeint gewesen; daher sei es gerechtfertigt Abschlüsse an Fachhochschulen um 0,5 Wertungspunkte tiefer zu gewichten (E.5.5.2).

Mit dem Bewertungskriterium K1 (Ausbildung und Erfahrung) werden die Voraussetzungen zum Antritt einer entsprechenden Stelle umschrieben. Kindergärtnerinnen würden laut Bundesgericht beim Antritt ihrer ersten Stelle noch über keine Berufserfahrung verfügen. Bei einem Werkstattchef oder Abteilungsleiter mit  technisch/handwerklichen Funktionen seien aber neben mindestens einer Berufslehre «viel» bzw. «sehr viel» Erfahrung vorausgesetzt, was eine höhere Einstufung beim Kriterium K1 im Vergleich mit Kindergärtnerinnen rechtfertige. Auch die Ausbildungsvoraussetzungen einer Lehrkraft für berufskundlichen Unterricht an einer gewerblich-industriellen Berufsschule (mind. Abschluss der höheren Berufsbildung und eine berufspädagogische Bildung) seien zu Recht höher bewertet worden als die Ausbildung zur Kindergärtnerin (E.5.6.).

Vergleich der Arbeitszeit

In der kantonalen Verwaltung müssen für ein Vollpensum 42 Stunden pro Woche bzw. pro Jahr 2‘184 Stunden gearbeitet werden. Dieses Pensum mit Arbeitspensen von Lehrkräften zu vergleichen ist naturgemäss schwierig, weil das Vollpensum von Lehrkräften nicht in Wochenstunden, sondern in Lektionen während des Schuljahres festgesetzt wird. Was in der unterrichtsfreien Zeit zu leisten ist, muss geschätzt werden, wobei nicht entscheidend ist was „real“ aufgewendet wird, sondern „das zur korrekten Erfüllung der Berufspflichten gebotene Mass“. Die Kindergärtnerinnen erhalten als einzige Berufskategorie lediglich den Lohn für ein Arbeitspensum von 87% (durchschnittlich 36,5h/W), was diese als diskriminierend rügten. Nach den Beschwerdeführerenden sei die aufgrund eines Gutachtens in einem früheren Verfahren festgesetzte Jahresarbeitszeit der Kindergärtnerinnen mittlerweile wegen zusätzlicher Arbeiten angewachsen und entspreche heute einem Vollpensum in der Verwaltung.

Die Vorinstanz hatte auf eine gutachterliche Abklärung der aktuellen Arbeitszeiten verzichtet und stützte sich bei einem eigenen Vergleich mit den Lehrkräften an gewerblichen Berufsschulen auf Erhebungen aus dem Jahr 2009, was beides vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde. Da die Beschwerde sich offenbar mit diesem vorinstanzlichen Vergleich nicht auseinandergesetzt hatte, sah das Bundesgericht keine Möglichkeit den Arbeitszeit-Vergleich mit anderen Lehrberufen zu überprüfen. Es unterliess es in der Folge auch, dem Arbeitszeit-Vergleich mit dem übrigen Staatspersonal nachzugehen, da ein solcher Vergleich mit methodischen Schwierigkeiten behaftet sei und der Nachweis einer Diskriminierung unwahrscheinlich sei. Im früheren Gerichtsverfahren sei zwar eine durchschnittliche Arbeitszeit der Kindergärtnerinnen von 39,44 Arbeitsstunden pro Woche ermittelt worden, was 94% der Arbeitszeit von Verwaltungspersonal entspreche, aber diese Durchschnittszahl sei damals nur für den Vergleich von verschiedenen Lehrberufen relevant gewesen und könne nun nicht für den Vergleich mit dem Staatspersonal massgebend sein.

Kommentar

Kindergärtnerin ist in der Schweiz einer der wenigen noch fast ausschliesslich durch Frauen ausgeübten Berufe. Bei keinem anderen Beruf ist es generell ausgeschlossen nach einer entsprechenden Ausbildung einen (den Anforderungen entsprechenden) vollen Lohn zu erzielen. Wenn der typische Frauenberuf Kindergärtnerin per se ein Teilzeitberuf ist, führt dies im Ergebnis zu einer einkommensmässigen Benachteiligung der dafür ausgebildeten Personen. Um solche Effekte zu verhindern, gibt es seit über 20 Jahren das GlG. Die Gerichtsverfahren aufgrund dieses Gesetzes sind aber ein dornenvoller Weg, wie die Lektüre des zusammengefassten Entscheides belegt.

Das Urteil ist auch eine Illustration für die wachsende Schwierigkeit, lohnmässige Benachteiligungen auf dem Gerichtsweg zu beseitigen. Es wird dank der zunehmenden Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen immer schwieriger geeignete Vergleichsberufe zu finden. Besoldungen von ursprünglich männlich dominierten Berufen (z.B. Primarlehrer) können sich meist auf dem „männlichen“ Niveau halten, ohne dass die sowohl historisch wie aktuell fast ausschliesslich von Frauen ausgeübten Berufe (wie Kindergartenlehrkraft) die lohnmässige Stigmatisierung abzuwerfen vermögen. Prozessual haben die Kindergärtnerinnen wohl deshalb den eigentlich naheliegenden Vergleich mit der Primarschulstufe vermieden und die – wie sich nun herausgestellt hat – zu riskanten Vergleiche von Ausbildung und Erfahrung mit Berufsschul-Lehrkräften bzw. Abteilungsleiter im handwerklichen Bereich und Werkstattchef sowie den Arbeitszeit-Vergleich mit dem Staatspersonal mit fixem Wochenpensum gewählt.

Ausbildung und Erfahrung

Aufgrund der gestiegenen Anforderungen an Ausbildung und Berufsausübung hofften die Kindergärtnerinnen eine Verbesserung ihrer Besoldungssituation zu erreichen. Tatsächlich findet die Ausbildung von Kindergärtnerinnen nunmehr (wie für alle anderen Lehrberufe der Volksschule) an der Pädagogischen Hochschule PH statt und wird mit einem Bachelor abgeschlossen. Alle Hochschultypen (Universitäten, PH und sonstige Fachhochschulen) unterstehen heute dem HFKG. Gemäss den darauf basierenden Richtlinien des Hochschulrates für die Umsetzung der Erklärung von Bologna (SR 414.205.1 und 414.205.4) entspricht denn auch an allen Hochschultypen ein Bachelor-Abschluss 180 Kreditpunkten ECTS, was 25–30 Arbeitsstunden pro Kreditpunkt bedingt. Damit sollten Abschlüsse an Hochschulen vergleichbar werden. Sowohl für die Zulassung an eine PH wie an Universitäten wird grundsätzlich eine gymnasiale Matur vorausgesetzt (Art. 23 und 24 HFKG).

Es erschliesst sich einem bei der Lektüre des Bundesgerichtsurteils leider nicht durch inhaltliche Erläuterungen, weshalb entgegen dieser Rechtslage und entgegen der seit Jahrzehnten verfolgten Bildungspolitik («FH - anders aber gleichwertig») in Diskriminierungsfällen ein Bachelorabschluss an einer PH weniger «wert» sein soll als ein Uni-Bachelor. Das Gericht stellt einzig darauf ab, dass mit dem Begriff «Studienabschluss» in der Bewertungshilfe nur ein Abschluss an einer Uni gemeint sein konnte. Die Richterinnen und Richter lassen dadurch freilich eine geringe Vertrautheit mit der seit dem eigenen Studium eingetretenen Veränderung der Hochschullandschaft erkennen. 

Als Argument gegen die Berücksichtigung gestiegener Ausbildungsanforderungen verweist das Bundesgericht darauf, dass (noch) nicht alle im Solde des Kantons stehenden Kindergärtnerinnen einen Hochschulabschluss aufweisen. Mit dieser Argumentation sind gestiegene Ausbildungsanforderungen (wegen erhöhter Anforderungen an die Tätigkeit) offenbar nicht lohnmässig relevant. Zu welchem Zeitpunkt sie dann einmal bei der Lohnfestsetzung für eine ganze Berufskategorie zu berücksichtigen sind, bleibt in diesem Urteil unbeantwortet.

Kindergärtnerinnen können wie alle übrigen Lehrkräfte direkt nach Abschluss der Ausbildung ihren Beruf ausüben, ohne dass eine Assistenzzeit oder Berufstätigkeit in dem Bereich verlangt werden können oder müssen, denn die Ausbildung selber vermittelt die erforderliche Unterrichtserfahrung für den Berufseinstieg. Somit kann ihnen während des ganzen Berufslebens vorgehalten werden, dass Vergleichsfunktionen wie Berufsschullehrer, Werkstattchef oder Abteilungschef mit handwerklichen Funktionen eine gewisse Berufserfahrung voraussetzen, was jeweils mit 0,5 bis 0,75 Wertungspunkten zu Buche schlagen kann. Dass aber deswegen eine so viel tiefere Bewertung der Kindergärtnerinnen im Kriterium Ausbildung und Erfahrung sachlich gerechtfertigt ist, bleibt auch nach der Lektüre dieses Entscheides zweifelhaft.

Arbeitszeit

Wie die zeitlichen Anforderungen an den Beruf der Kindergärtnerin und der männlich dominierten Vergleichsberufe genau ermittelt wurden, ist aufgrund der Urteilserwägungen leider kaum nachzuvollziehen. Das Bundesgericht rügt zwar, dass die Argumente für eine gestiegene zeitliche Auslastung (gegenüber einem früheren Urteil) von der Vorinstanz nicht genügend gewürdigt worden seien. Es füllt aber diese Lücke gleich selber mit Argumenten des Kantons, welche dieser aber in Bezug auf gesteigerte Ausbildungsanforderungen vorgebracht hatte. Die Minderheit im Bundesgericht, welche den Fall zu weiteren Sachverhaltsabklärungen an die Vorinstanz zurückweisen wollte, hat sich offenbar nicht durchsetzen können. Dies hätte aber zur Klärung der aktuellen Fakten und zur Nachvollziehbarkeit der gerichtlichen Erwägungen beigetragen.

Beweisfragen

Funktionsanalysen und Bewertungskriterien für eine sachgerechte Einstufung von Besoldungen sind Wertungsfragen, welche in Gerichtsfällen zu Recht als solche behandelt werden, indem das Gericht nicht sein Ermessen anstelle des Ermessens der Arbeitgebenden setzt. In Diskriminierungsfällen gilt es aber zu überprüfen, ob die einmal gegebenen Spielregeln eingehalten wurden und sich nicht tradierte Vorstellungen zum Nachteil eines Geschlechts eingeschlichen haben. Dafür gibt das GlG in Art. 6 klare Beweisregeln vor: Ist eine lohnmässige Geschlechterdiskriminierung glaubhaft gemacht, erfolgt eine Beweislastumkehr und der Arbeitgeber hat für die Rechtfertigung der Unterschiede die volle Beweislast.

Die vom Kanton Zürich vorgebrachten Rechtfertigungsgründe und Beweismittel für die (glaubhaft gemachte) geschlechtsspezifische Benachteiligung der Zürcher Kindergärtnerinnen wurden vom kantonalem Verwaltungsgericht kaum einer Beweiswürdigung unterzogen, und das vom Kanton zu erbringende (volle!) Beweismass war kein Thema. Dies wird vom Bundesgericht nicht beanstandet, vielmehr liest man in seinem Entscheid (E. 6.4.3) Sätze wie: «Nach dem Gesagten ist … der Nachweis einer Diskriminierung … nicht erbracht». Eine Aussage, welche mit Art. 6 GlG nicht in Einklang zu bringen ist, denn nachdem die Diskriminierung glaubhaft gemacht war, konnte es nur noch um den (vollen) Nachweis der Rechtfertigung durch den Kanton gehen.

Dieses Urteil bestätigt, was sich aus der Analyse der kantonalen Rechtsprechung nach GlG 2004-2015 durch das EBG (S. 32) ergab: „Bezüglich Beweislasterleichterung unterscheidet auch heute noch die Mehrheit der Urteile die beiden Stufen des Beweisverfahrens nicht klar voneinander….“ Dadurch läuft die vom Gesetzgeber mit dem GlG beabsichtigte Erleichterung der Rechtsdurchsetzung ins Leere.

Vergleichsebenen

Die Argumentation einer Diskriminierung beruht zwangsläufig auf einem Vergleich. Beim Vergleich von Zulassungsbedingungen zu Ausbildungen und beim Vergleich von Anforderungen verschiedener Ausbildungsgänge besteht die Gefahr, dass «Äpfel mit Birnen» vergleichen werden, denn es gibt jeweils Regeln mit zahlreichen Ausnahmen. Dahinter steht die bildungspolitische Absicht, die sog. Durchlässigkeit von Bildungsgängen zu gewährleisten. Und insbesondere bei Kindergärtnerinnen wird immer wieder vor einer Akademisierung gewarnt, so dass vor allem bei den Voraussetzungen zur Zulassung an die PH Konzessionen nach unten gemacht werden mussten. Es führt aber zu unsachgemässen Vergleichen, wenn Minimalanforderungen mit Regelanforderungen verglichen werden, wie dies im vorliegenden Verfahren der Fall war.

Dadurch, dass die Löhne der Kindergärtnerinnen schon in früheren Verfahren auf ihre Diskriminierung hin untersucht wurden, haben sich im nun zum Abschluss gebrachten Verfahren Fragen der res iudicata mit Fragen der aktuellen Ausbildung und Arbeitszeit überlagert. Dies hat dazu geführt, dass die Situation beim Arbeitszeitvergleich in Bezug auf den aktuellen Beurteilungszeitpunkt nicht nachvollziehbar ist. Das Gericht erwähnt z.B. eine empirische Untersuchung, wonach die effektive durchschnittliche Arbeitszeit von Kindergärtnerinnen 39,44 Wochenstunden betrage, was 94% der Arbeitszeit in der Verwaltung entspricht. Dennoch geht es von 36,5 Stunden aus, weil dies in einem früheren Verfahren die Relation (87%) im Vergleich zu den Primarlehrkräften war.

Man kann sich somit dem Kommentar der NZZ zu diesem Urteil anschliessen: «Das letzte Wort ist nicht gesprochen».  Es wird auf die Dauer nicht haltbar sein, dass der immer noch typische Frauenberuf Kindergärtnerin als einziger Lehrberuf auf Volksschulstufe nur als Teilzeitjob ausgeübt und besoldet werden kann.

iusNet AR-SVR 27.11.2017