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Anzeigepflichtverletzung und rückwirkender Gesundheitsvorbehalt (9C_333/2017)

Anzeigepflichtverletzung und rückwirkender Gesundheitsvorbehalt (9C_333/2017)

Rechtsprechung
Berufliche Vorsorge

Anzeigepflichtverletzung und rückwirkender Gesundheitsvorbehalt (9C_333/2017)

Diesem in 3-er Besetzung ergangenen Urteil lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: Der Versicherte (geb. 1973) litt seit seiner Geburt an einer Nierenkrankheit. Aufgrund dieses Leidens meldete sich der Versicherte Mitte 2006 bei der IV zum Leistungsbezug an und erhielt ab Anfang 2011 eine Rente zugesprochen.

Die Pensionskasse, über welche der Versicherte während seines Anstellungsverhältnisses von Anfang 2006 bis Ende März 2008 versichert war, verweigerte die Leistungen. Sie berief sich u.a. und mit Bezug auf die weitergehende berufliche Vorsorge auf einen am 7. August 2007 angebrachten Gesundheitsvorbehalt, was das kantonale Gericht auf Klage hin bestätigte. Dagegen erhob der Versicherte Beschwerde beim Bundesgericht.

Vor Bundesgericht war demnach strittig, ob dem Versicherten Rentenleistungen aus der weitergehenden beruflichen Vorsorge zustanden und dabei insbesondere, ob der Gesundheitsvorbehalt vom 7. August 2007 gültig war (E. 2).

Zunächst erinnerte das Bundesgericht daran, dass Pensionskassen im Rahmen der weitergehenden beruflichen Vorsorge den Versicherungsschutz durch Gesundheitsvorbehalte einschränken können. Gemäss Art. 331c OR sind die Vorsorgeeinrichtungen befugt, in der weitergehenden Vorsorge für die Risiken Tod und Invalidität Gesundheitsvorbehalte anzubringen. Die Gültigkeit solcher Vorbehalte beträgt höchstens fünf Jahre (E. 2.1).

Bei einem Gesundheitsvorbehalt handelt es sich um eine individuelle, konkrete und zeitlich begrenzte Einschränkung des Versicherungsschutzes in Einzelfällen (E. 2.2 mit Hinweis auf BGE 127 III 235 E. 2c S. 238; BGer-Urteil B 66/02 vom 18. Juni 2003). Der Gesundheitsvorbehalt muss daher ausdrücklich ausformuliert und datumsmässig festgesetzt sein sowie der versicherten Person mit der Aufnahme in die Vorsorgeeinrichtung mitgeteilt werden. Damit wird auch sichergestellt, dass eine neue Vorsorgeeinrichtung nach einem allfälligen Wechsel weiss, für welche Leiden sie infolge eines bereits abgelaufenen Vorbehalts keinen, für welche Leiden sie für die noch nicht verstrichene Zeit und für welche Leiden sie einen neuen, sich zeitlich nach ihrem Reglement richtenden Vorbehalt anbringen darf (zum Ganzen E. 2.2 mit Hinweis SVR 2004 BVG Nr. 13 S. 41, B 110/01 E. 4.3).  

Vorliegend bestand eine reglementarische Grundlage für den Gesundheitsvorbehalt in der weitergehenden beruflichen Vorsorge, wobei die Versicherten u.a. verpflichtet waren, sich vor der Aufnahme durch eine Gesundheitserklärung darüber auszuweisen, dass sie voll erwerbsfähig und gesund waren (E. 2.3).

Der Versicherte hatte seine Anzeigepflicht unstrittig verletzt (E. 5.2.1), was mangels Regelung im Reglement zur subsidiären und analogen Anwendbarkeit von Art. 4 ff. VVG führte (E. 3.1). Daraus ergab sich ein Kündigungsrecht der Pensionskasse, welches innerhalb von vier Wochen nach Kenntnisnahme der Anzeigepflichtverletzung auszuüben war (Art. 6 VVG analog; E. 3.2). Dieses Kündigungsrecht hatte die Pensionskasse nicht ausgeübt (E. 5.2.3).

Unzulässig und im Reglement auch gar nicht vorgesehen war die Möglichkeit des Anbringens eines rückwirkenden Gesundheitsvorbehalts (E. 5). Art. 331c OR gilt nur für Vorbehalte, die von der Vorsorgeeinrichtung beim Eintritt des Versicherten formell angebracht werden (E. 5.1 mit Hinweis auf BGE 130 V 9). Vorliegend nahm die Pensionskasse den Versicherten zunächst vorbehaltlos auf und wollte 17 Monate später einen Gesundheitsvorbehalt anbringen, was gemäss Bundesgericht nicht statthaft war (E. 5.2.2). Im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge sind rückwirkende Gesundheitsvorbehalte unzulässig, selbst wenn die versicherte Person bei der Aufnahme in die Vorsorgeeinrichtung unrichtige Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht hat, und die Pensionskasse im Nachhinein Kenntnis von dieser Anzeigepflichtverletzung erlangt (E. 5.1).

Der Pensionskasse blieb im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die von keiner Partei infrage gestellt wurde (E. 5.2.3), nur das oben erwähnte, aber nicht ausgeübte Kündigungsrecht (E. 5.1 mit Hinweis auf BGE 130 V 9). Daher war die Beschwerde des Versicherten gutzuheissen (E. 6).

Bemerkungen der Redaktion (Philipp Egli): Dass ein rückwirkender Vorbehalt "als geeignete Vorkehr bei Vorliegen einer Anzeigepflichtverletzung ausser Betracht" fiel (E. 5.1), dafür aber eine Kündigungsmöglichkeit bestand, wirkte sich vorliegend zugunsten des Versicherten aus - allerdings deshalb, weil die PK ihr Kündigungsrecht nicht ausübte. Vgl. dazu auch Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, 7. Aufl., Zürich 2012, Art. 331c N 7 S. 785. 

iusNet AR-SVR 24.02.2018