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Unangekündigte Überwachung des Instant-Messengers (Case Bărbulescu vs. Romania [Application no. 61496/08])

Unangekündigte Überwachung des Instant-Messengers (Case Bărbulescu vs. Romania [Application no. 61496/08])

Rechtsprechung
Internationales Arbeitsrecht

Unangekündigte Überwachung des Instant-Messengers (Case Bărbulescu vs. Romania [Application no. 61496/08])

Bemerkung der Redaktion: Vgl. dazu den Kommentar Überwachung von Arbeitnehmenden und Versicherten - transparente Regeln statt Ad-hoc-Observationen von Philipp Egli.

Nachdem am 12. Januar 2016 die Vierte Kammer die Beschwerde des Arbeitnehmers abgelehnt hatte, wurde der Fall an die Grosse Kammer des EGMR überwiesen, um zu prüfen, ob das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz nach Art. 8 EMRK verletzt war. 

Der Beschwerdeführer arbeitete seit dem 1. August 2004 bei einem privatrechtlich organisierten Unternehmen als Vertriebsingenieur. Der Arbeitgeber forderte den Arbeitnehmer auf, einen Yahoo-Instant-Messenger zu installieren, um mit seinen Kunden kommunizieren zu können. Gemäss interner und dem Arbeitnehmer bekannter Regelung war die private Nutzung von Ressourcen sowie Computer des Unternehmens und damit auch des Internets verboten. Mitte Juli 2007 informierte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, dass sein Yahoo Messenger vom 5. Juli 2007 bis zum 13. Juli 2007 überwacht worden war. Die Aufzeichnungen zeigten, dass der Arbeitnehmer den Messenger für private Zwecke genutzt hatte. Der Arbeitnehmer lehnte diesen Vorwurf ab, worauf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine 45-seitige Abschrift seiner Nachrichten im Yahoo-Messenger im genannten Zeitraum vorlegte. Daraus ergab sich, dass der Arbeitnehmer Nachrichten an seinen Bruder und seine Verlobte verschickt hatte. Es ging darin um sehr intime Informationen zu seiner Gesundheit und seinem Sexualleben. Am 1. August 2007 sprach der Arbeitgeber die Kündigung wegen Verletzung des Verbots zur privaten Nutzung des Internets aus.

Zunächst ruft das Gericht in Erinnerung, dass der Begriff Privatleben in Art. 8 EMRK weit gefasst ist und dass darunter auch berufliche Aktivitäten fallen können (Rz. 70, 71). Es hält fest, dass nach bisheriger Rechtsprechung Telefonate, die in Räumlichkeiten der Arbeitgeberin geführt werden, unter den Begriff Korrespondenz und somit in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallen. Ein ähnlicher Schutz soll auch in Bezug auf die vom Arbeitsplatz aus gesendeten E-Mails sowie auf die Überwachung der Internetnutzung am Arbeitsplatz bestehen. Allgemein fallen Mitteilungen vom Arbeitsplatz aus unter die Begriffe Privatleben und Korrespondenz i.S.v. Art. 8 EMRK (Rz. 71, 72). Davon sind auch die aus- und eingehenden Nachrichten des Instant-Messengers erfasst (Rz. 74)

In einem zweiten Schritt prüft der Gerichtshof der bisherigen Praxis folgend, ob der Arbeitnehmer während der Nutzung des Instant-Messengers eine angemessene Erwartung hatte, wonach seine Privatsphäre respektiert und geschützt werde («a reasonable expectation that their privacy would be respected and protected»), um sicherzustellen, dass das Verständnis von Privatleben und Korrespondenz im Sinne der Konvention anwendbar ist. Es wird eingeräumt, dass das Vorliegen einer derartigen Erwartungshaltung nicht zwingend ausschlaggebend ist (Rz. 73). Es wurde festgestellt, dass der Arbeitnehmer vom Verbot der privaten Nutzung des Internets wusste. Nicht klar ist hingegen, ob der Arbeitnehmer im Vorfeld zur Überwachung seines Messenger-Verlaufs informiert worden war (Rz. 77). Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Arbeitnehmer über Ausmass und Art und Weise der Überwachung informiert worden war und darüber, dass der Arbeitgeber auch über den tatsächlichen Inhalt der Nachrichten Kenntnis nehmen konnte (Rz. 78).  Es wird auf das Argument des Arbeitnehmers, wonach er den Yahoo-Account selbst erstellt und nur er das Passwort gekannt habe unter gleichzeitigem Hinweis darauf eingegangen, dass ja der Arbeitgeber doch auf den Messenger zugegriffen habe. Die Frage, ob im Lichte der sehr restriktiven Vorgaben des Arbeitgebers eine Erwartung zur Privatsphäre gegeben war, bleibt offen. So oder so darf der Arbeitgeber das private Sozialleben des Arbeitnehmers nicht auf null reduzieren (Rz. 80), weshalb der Gerichtshof auch in diesem Punkt zum Schluss kommt, dass die Mitteilungen des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz unter die Begriffe Privatleben und Korrespondenz fallen (Rz. 81).

Das Gericht setzt sich auch mit der Frage der Horizontalwirkung von Art. 8 EMRK auseinander, zumal es sich um ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis handelt. Vorliegend ist zu prüfen, ob das Gericht seiner Verpflichtung das Recht auf Privatleben des Arbeitnehmers zu schützen und die daraus fliessende positive Verpflichtung, eine angemessene Abwägung der Arbeitgeberinteressen und der Arbeitnehmerinteressen vorzunehmen, nachgekommen ist (Rz. 108 ff.). Der diesbezügliche Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten ist nicht unbegrenzt, und der Gerichtshof zählt Kriterien zur Verhinderung einer willkürlichen Abwägung auf (Rz. 121 f.). Hierfür setzt er sich auch eingehend mit internationalen Standards zum Schutze der persönlichen Privatsphäre und des Datenschutzes auseinander (Rz. 37 ff.).

Arbeitgeberinnen dürfen zwar die elektronische Kommunikation von Mitarbeitenden überprüfen. Hierfür müssen jedoch erstmals definierte Kriterien erfüllt sein. Die Arbeitnehmenden sind im Vorfeld über die Möglichkeit und das Ausmass von Kontrollen zu informieren. Für die Überwachung muss ein legitimer Grund vorliegen. Zudem ist auf die Verhältnismässigkeit zu achten. Zu prüfen sind einerseits mildere Kontrollmassnahmen und andererseits weniger einschneidende Konsequenzen als eine Kündigung (Rz. 140). Vorliegend war Art. 8 EMRK verletzt (Rz. 141).

iusNet AR-SVR 25.09.2017