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Lohnzahlungspflicht während der Coronapandemie

Lohnzahlungspflicht während der Coronapandemie

Kommentierung
Privates Individualarbeitsrecht

Die Coronapandemie sorgt für grosses Leid in der Schweizer Bevölkerung. Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 anstecken, zeigen circa eine Woche keine Symptome. Während einige Infizierte sich anschliessend nach einem leichten Krankheitsverlauf rasch wieder erholen, leiden andere an äusserst schmerzhaften Symptomen. Bei einigen an Covid-19 erkrankten Personen verschlechtert sich der Zustand in der dritten Woche nochmals dramatisch. Sie müssen hospitalisiert und dort mit Sauerstoff versorgt werden. Falls der Körper trotz dieser Massnahmen nicht genügend Sauerstoff aufnehmen kann, wird die erkrankte Person unter Narkose intubiert. Im schlimmsten Fall stirbt sie auf der Intensivstation. Weil SARS-CoV-2 bereits in der Phase, in der eine erkrankte Person noch keine oder nur leichte Symptome zeigt, hoch ansteckend ist, hat der Bundesrat am 16. März 2020 rigorose Massnahmen erlassen, um die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu schützen.

Diese Massnahmen haben sich unmittelbar auf die Schweizer Wirtschaft ausgewirkt. In der Gastrobranche beispielsweise verdienen nur noch diejenigen Betriebe etwas, die einen Heimlieferservice anbieten können. Auch andere Betriebe, die auf Publikumsverkehr angewiesen sind, haben ihre Geschäfte schliessen müssen. Die Dienstleistungsbetriebe versuchen, ihre Leistungen telematisch zu erbringen oder jedenfalls so, dass die körperliche Distanz zwischen zwei Menschen gewahrt bleibt. Aber auch die Auftragslage bei den Selbständigen ist vielerorts eingebrochen. Die Kulturszene wird ebenfalls nach Möglichkeit digitalisiert. In den Industriebetrieben versucht man, weiter zu produzieren, bei Einhaltung der vom Bundesrat angeordneten Gesundheitsschutzmassnahmen. Diejenigen Betriebe, die die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen, tun dies ebenfalls im Rahmen des zurzeit Erlaubten.

Betreffend das Arbeitsrecht haben die Professoren Thomas Geiser, Roland Müller und Kurt Pärli im Jusletter vom 23. März 2020 eine Auslegeordnung gemacht. Bei Arbeitnehmenden, die an Covid-19 erkranken, unterscheidet sich die Rechtslage nicht von jener bei anderen Krankheiten. Wird die arbeitnehmende Person aus Gründen, die in ihrer Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne ihr Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihr die arbeitgebende Person für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichtent (Art. 324a OR). Im Arbeitsrecht haben wir also eine Ausnahmebestimmung zur allgemeinen Regelung in Art. 119 Abs. 1 OR, wonach Forderungen bei subjektiver Unmöglichkeit erlöschen respektive bei zweiseitigen Verträgen der freigewordene Schuldner für bereits empfangene Gegenleistungen haftet und die noch nicht erfüllte Gegenforderung verliert (Art. 119 Abs. 2 OR). Fehlt es an Ursachen, die der subjektiven Unmöglichkeit zuzuordnen sind, oder liegt eine objektive Unmöglichkeit vor, welche die angestellte Person an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert, kommt der Grundsatz «ohne Arbeit kein Lohn» (Art.82 und119 OR) zur Anwendung und die angestellte Person erhält für die Zeit der Arbeitshinderung keinen Lohn (fort-)bezahlt.

Liegen nun aber Ursachen vor, welche die Arbeitgebenden daran hindern, die Arbeitsleistung der angestellten Personen anzunehmen, bewegen wir uns im Bereich des Gläubigerverzugs. Trifft eine Gläubigerperson nicht die notwendigen Vorbereitungen, um eine ihr geschuldete Leistung entgegen nehmen zu können, gerät sie in Verzug (Art. 91 OR). Will nun die Schuldnerperson ihre Leistung nicht später erbringen, kann sie grundsätzlich nach den Regeln des allgemeinen Teils des OR, sofern eine Hinterlegung der Leistung nicht möglich ist, vom Vertrag zurücktreten (Art. 95 OR). Das Arbeitsrecht sieht wiederum eine Ausnahmebestimmung zum allgemeinen Gläubigerverzug vor. Die arbeitgebende Person hat den Lohn weiterhin für die ganze Dauer der Verhinderung an der Annahme der Arbeitsleistung zu bezahlen, obwohl sie diese nicht erhält und diese später nicht mehr erbracht werden muss (Art. 324 Abs. 1 OR).

Geiser/Müller/Pärli vertreten die Position, dass die besondere Regelung des Arbeitsrechts auch für die Verhinderung an der Annahme der Arbeitsleistung wegen Zufalls und höherer Gewalt gilt. Wenn der Zufall oder die höhere Gewalt dazu führen, dass der Betrieb die Arbeitsleistung ihrer Angestellten nicht annehmen kann, realisiert sich schliesslich ein betriebliches Risiko, dessen Folgen entsprechend von diesem zu tragen ist. Die Professoren Jean-Philippe Dunand und Rémy Wyler vertreten nun im Newsletter DroitDuTravail.ch du 9 avril 2020 de l’Université de Neuchâtel den Standpunkt, dass alle Ausnahmebestimmungen und deshalb auch Art. 324 Abs. 1 OR restriktiv auszulegen seien. Ausserordentliche Ereignisse wie die Coronapandemie seien der höheren Gewalt zuzuordnen, die nicht vom betrieblichen Risiko erfasst ist, weil die bundesrätlichen Massnahmen nicht einzelne Betriebe spezifisch, sondern die Schweizer Wirtschaft als Ganzes betreffen. Sie argumentieren, dass die Massnahmen die Betriebe nicht nur daran hinderten, die Arbeitsleistung ihrer Angestellten anzunehmen, sondern eben in vielen Branchen die Betriebe auch daran hinderten, ihre Dienstleistungen zu erbringen oder ihre Produkte zu verkaufen. Dahinter steht wohl die Überlegung, dass nicht unter das Betriebsrisiko fallen soll, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht antizipiert werden kann. Als Folge davon wollen die beiden Autoren die Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen lassen, also Art. 119 Abs. 1 und 2 OR anwenden.

Der Ansicht von Dunand/Wyler ist aus mehreren Gründen nicht zu folgen:

  • Im Arbeitsverhältnis wird die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich und nicht die Bezahlung des Lohnes, die aufgrund des Prinzips «genus perire non potest» in Bezug auf die Gattungssache Geld nie unmöglich ist.
  • Jeder Betrieb muss seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen können, weshalb die Lohnzahlungspflichten zum betrieblichen Risiko gehören und betriebswirtschaftlich zu antizipieren sind.
  • Die Lohnzahlungspflichten umfassen sämtliche Löhne zumindest bis zum potenziellen Ende des Arbeitsvertrages, d.h. jeder Betrieb muss alle Löhne bezahlen können bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
  • Im Arbeitsverhältnis wird die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich und nicht die Bezahlung des Lohnes, weshalb nicht das Erlöschen der Forderungen eine mögliche Folge wäre, sondern der Rücktritt gegen Ausgleich des positiven Interesses.
  • Wenn die Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis einfach erlöschen würden, dann wäre das Risiko einseitig auf die Angestellten abgewälzt, die sich in ihren Mietverträgen auch auf Unmöglichkeit berufen können müssten.
  • Wenn die Lohnzahlungs- und Arbeitsleistungspflichten erloschen wären, also das Arbeitsverhältnis vorübergehend ausgesetzt würde, wäre kein Hilfspaket für die Wirtschaft notwendig gewesen (vereinfachter Zugang zu Krediten und zur Kurzarbeitsentschädigung).

Literaturhinweise:

Marc Wohlwend, Arbeitsleistung und Lohn zu Zeiten des Corona-Virus, Diskussionspapier vom 13. März 2020, S. 6, abrufbar unter https://www.zhaw.ch/storage/sml/institute-zentren/zsr/diskussionspapier_v1_arbeitsleistung_und_lohn_zu_zeiten_des_corona-virus_marc_wohlwend_2020_03_13.pdf.

Thomas Geiser/Roland Müller/Kurt Pärli, Klärung arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, in: Jusletter 23. März 2020.

Jean-Philippe Dunand/Rémy Wyler, Quelques implications du coronavirus en droit suisse du travail, in: Newsletter DroitDuTravail.ch du 9 avril 2020 de l’Université de Neuchâtel.

iusNet AR-SVR 20.04.2020