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Umkleidezeit – aktueller Stand

Umkleidezeit – aktueller Stand

Kommentierung
Öffentliches Personalrecht

Umkleidezeit – aktueller Stand

Rechtliche Qualifikation und Rechtsfolgen

I. Einleitung

Das Thema Umkleidezeit beschäftigt die Mitarbeitenden, die Arbeitgebenden und die Sozialpartner*innen bereits seit 2018. Im Fokus stehen dabei die Spitäler, wobei sich die Frage nach der Vergütung der Umkleidezeit auch in anderen Berufsfeldern stellen kann. Immer dann, wenn sich die Mitarbeitenden im Betrieb umziehen müssen, stellt sich die Frage, ob diese Zeit an die Arbeitszeit anzurechnen ist und welche Folgen eine Qualifikation als Arbeitszeit mit sich bringt.

Mittlerweile hat sich die Frage nach dem Umgang mit der Umkleidezeit insofern entschärft, als diese nun ausdrücklich geregelt ist. Unklarheiten bestehen weiterhin betreffend die Rechte der Angestellten für Umkleidezeiten in der Vergangenheit. Ob ein rückwirkender Anspruch auf Entschädigung oder Freizeitkompensation für vergangene Umkleidezeiten besteht, hängt massgeblich von der Rechtsform des Betriebes ab.

II. Regelungen zur Umkleidezeit

Die Spitäler haben in Bezug auf die Rechtsfolgen der Umkleidezeit einen erheblichen Spielraum. Für Einrichtungen mit privatrechtlicher Rechtsform (Aktiengesellschaft, Stiftung) und für selbständige öffentlichrechtliche Anstalten, wie etwa das Universitätsspital Zürich oder das Kantonsspital Winterthur, ist zwar auf der Grundlage des Arbeitsgesetzes zwingend vorgegeben, dass Umkleidezeit Arbeitszeit darstellt. Nicht zwingend geregelt ist demgegenüber, ob die Umkleidezeit auch entschädigt werden muss. Der Bestand und die Höhe der Entschädigungspflicht kann im Arbeitsvertrag oder im Anstellungsreglement frei geregelt werden.

Die von den Spitälern getroffenen Regelungen unterscheiden sich bisweilen erheblich. Während etwa das Kinderspital Zürich, das Universitätsspital Zürich, die Schulthess-Klinik oder das Spital Bülach die Umkleidezeit regulär entschädigen, entschädigt das Kantonsspital Winterthur seine Mitarbeitenden mit eine Pauschale. Eine Kompensation in Form von zusätzlichen freien Tagen erhalten etwa die Angestellten der Hirslanden-Gruppe. Das Spital Limmattal rechnet die Umkleidezeit auch künftig nicht an die Arbeitszeit an, garantiert seinen Mitarbeitenden jedoch neu eine bezahlte Pause von fünfzehn Minuten pro Schicht.

1. Rückwirkende Vergütung der Umkleidezeit

Während die Folgen der Umkleidezeit für die Zukunft klar geregelt ist, bestehen hinsichtlich des Umgangs mit den Umkleidezeiten, die in der Vergangenheit angefallen sind, weiterhin Unklarheiten. Ob infolge von vergangenen Umkleidezeiten rückwirkend Ansprüche geltend gemacht werden können, hängt in erster Linie davon ab, welche in welche Rechtsform die Arbeitgebenden gekleidet sind.

2. Private Trägerschaft oder staatliche Institutionen in Privatrechtsform

Private oder staatliche Institutionen in Privatrechtsform unterliegen sowohl hinsichtlich der Anrechnung der Umkleidezeit an die Arbeitszeit als auch in Bezug auf die Entschädigungspflicht engen gesetzlichen Rahmenbedingungen. So definiert Art. 13 Abs. 1 ArGV1 (Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz, SR 822.11) Arbeitszeit als Zeit, während der sich die Arbeitnehmenden zur Verfügung der Arbeitgebenden zu halten haben. Im Zuge der Diskussionen rund um die Umkleidezeit hat das Seco seine Wegleitung zur ArGV im Dezember 2020 angepasst und hält nun ausdrücklich fest, dass die Umkleidezeit als Arbeitszeit gilt, soweit sie obligatorischer Teil des Arbeitsprozesses ist. Das Anziehen von persönlicher Schutzausrüstung für den Gesundheitsschutz und gegen Unfälle, das Anziehen von Überzugskleidern oder steriler Arbeitskleidung wie auch das Durchschreiten einer Schleuse aus Gründen der Hygiene etc. gilt gemäss Wegleitung als Teil des obligatorischen Arbeitsprozesses (Wegleitung zur Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz, abrufbar unter https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-und-Verordnungen/Wegleitungen/Wegleitung-zur-ArGV-1.html [besucht am 22. April 2021]).

Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen private Arbeitgebende mangels abweichender Regelung Arbeitszeit zwingend entschädigen, wobei sich die Höhe der Entschädigung nach dem betriebswirtschaftlichen Interesse der Arbeitgebenden und am Ausmass der Einschränkung der Arbeitnehmenden während der konkreten Tätigkeit richtet (BGE 124 III 249, Erw. 3b). Das Bezirksgericht Bülach hat in seinem Entscheid vom 19. Februar 2021 zutreffend ausgeführt, dass sich das Umkleiden sowie der Weg von der Wäscheausgabe zur Station oder den OP-Bereich nicht grundsätzlich von anderen Tätigkeiten im Pflegebereich unterscheide und deshalb der im Arbeitsvertrag vereinbarte Lohn geschuldet sei (Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 19. Februar 2021, Erw. 4.8.5. [das Urteil wurde seitens des Spitals Bülach angefochten, der Rechtsmittelentscheid ist aktuell noch ausstehend]).

3. Öffentlichrechtliche Körperschaften ohne Rechtspersönlichkeit

Geklärt ist die Rechtslage betreffend den rückwirkenden Anspruch auf Entschädigung der Umkleidezeit auch für staatliche Spitäler, die als Teil der Verwaltung nicht eigenständig Träger von Rechten und Pflichten sind. Solche unselbständigen öffentlichrechtlichen Anstalten zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen keine Rechtspersönlichkeit zukommt und sie folglich nicht Träger von Rechten und Pflichten sind. Unter diese Kategorie fallen etwa die Stadtspitäler Triemli und Waid, das Spital Limmattal oder das Spital Bülach bis zur Umwandlung in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft.

Unselbständige öffentlichrechtliche Körperschaften und Anstalten sind gemäss Rechtsprechung nicht verpflichtet, Umkleidezeit rückwirkend zu vergüten, sofern dazu keine Grundlage besteht (Siehe dazu Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 24. Juni 2020, VB.2019.00766; Urteil des Bundesgerichts vom 20. Januar 2021, 8C_514/2020; Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 19. Februar 2021). Die Träger, seien es Gemeinden oder Zusammenschlüsse von mehreren Gemeinden in Form von Zweckverbänden, können ihre Anstellungsbedingungen selbständig festlegen und sind überdies auch nicht an die Vorgaben des Arbeitsgesetzes gebunden (Art. 2 Abs. 1 Bst. a ArG). Dass die Arbeitszeit erst nach dem Umkleiden bei Ankunft auf der Station oder im Operationssaal erfasst wird, kann von den Arbeitgebenden mittels Weisung festgelegt werden. Da die Mitarbeitenden seinerzeit nicht dagegen opponiert haben, wird überdies unterstellt, dass sie damit auch einverstanden gewesen sind (Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 19. Februar 2021, Erw. 4.4.7.).

4. Selbständige öffentlichrechtliche Anstalten

Ob die Angestellten von selbständigen öffentlichrechtlichen Anstalten einen Anspruch auf Entschädigung für Umkleidezeiten vor Geltung der nun beschlossenen Regelungen haben, ist nicht geklärt. Ein entsprechendes Verfahren ist vor dem Verwaltungsgericht Zürich hängig. Selbständige öffentlichrechtliche Anstalten verfügen über weitergehende Autonomie und können bis zu einem gewissen Grad Entscheide in eigener Verantwortung treffen. Viele kantonale Einrichtungen sind in der Form von selbständigen Anstalten organisiert. Dazu zählen etwa das Universitätsspital Zürich, das Kantonsspital Winterthur, das Universitätsspital Basel oder die Spitalverbunde im Kanton St. Gallen.

Im Gegensatz zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts finden die Vorschriften des Arbeitsgesetzes auf öffentlichrechtliche Anstalten mit Rechtspersönlichkeit Anwendung (Art. 7 Abs. 1 ArGV1). Umkleidezeit stellte demnach Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsgesetzes dar. Fraglich ist, ob sich der im Privatrecht geltende Grundsatz der Entschädigungspflicht auch auf die öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnisse mit selbständigen Anstalten mit Rechtspersönlichkeit Anwendung findet. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich wird in dieser Frage mehr Klarheit schaffen und ist in nächster Zeit zu erwarten.

III. Zusammenfassung und Würdigung

Während die rechtliche Behandlung der Umkleidezeit für die Zukunft ausdrücklich geregelt ist und die so gewonnene Rechtssicherheit für alle Beteiligten Klarheit schafft, ist die Rechtslage hinsichtlich der rückwirkenden Ansprüche noch nicht abschliessend geklärt. Das Urteil des Bezirksgerichts Bülach wurde seitens des Spitals angefochten, weshalb auch der rückwirkende Anspruch auf Entschädigung der Umkleidezeit von den Rechtmittelinstanzen noch in Frage gestellt werden könnte. Noch keine abschliessendes Urteil gefällt wurde über die rückwirkenden Ansprüche von Angestellten öffentlichrechtlicher Anstalten ohne Rechtspersönlichkeit.

Die unterschiedliche Behandlung von rückwirkenden Ansprüchen vermag zwar aus rechtlicher Sicht gerechtfertigt sein, im Ergebnis erscheint das jedoch nur schwer nachvollziehbar. Dass die Gemeinden ihre Angestellten nach eigenen Regeln anstellen können, ist Ausdruck der ihnen nach Massgabe des kantonalen Rechts zugestandenen Autonomie. Dass das auch dazu führt, dass den Angestellten von öffentlichrechtlichen Spitälern der für die Privaten geltenden Mindeststandards nicht anwendbar sind, führt zu einer Schlechterstellung von Mitarbeitenden in staatlichen Einrichtungen, die vor dem Hintergrund von Art. 71 Bst. b ArG kaum zu rechtfertigen ist.

iusNet AR-SVR 25.04.2021