Klage des Arbeitnehmers nach ordentlicher Kündigung
(Quelle: Adrian von Kaenel, § 9 Klage des Arbeitnehmers nach ordentlicher Kündigung, in: Willi Fischer/Fabiana Theus Simoni/Dieter Gessler, Kommentierte Musterklagen zum Vertrags- und zum Haftpflichtrecht, Zürich/Basel/Genf 2016)
I. Vorbemerkungen
1. Ausgangslage
A, Leiterin Finanz- und Rechnungswesen der X AG, ist 56 Jahre alt und wurde nach 22 Dienstjahren von ihrer Arbeitgeberin auf Ende Mai 2016 entlassen. Sie hat in diesen 22 Jahren tausende von Überstunden geleistet. Eine Arbeitszeiterfassung existierte bei ihrer Arbeitgeberin nicht, A verfügt nur über lückenhafte Unterlagen zu ihrer Arbeitszeit in ihrer Outlook-Agenda. Die X AG verweigert die Auszahlung der Gratifikation für das Jahr 2016, die A während der letzten 12 Anstellungsjahre zwar in unterschiedlicher Höhe, aber in klarer Abhängigkeit zum EBITDA jeweils vorbehaltlos ausbezahlt erhielt. Dringend benötigt A ein besseres Arbeitszeugnis.
A ist es nebst der raschen Verfügbarkeit des Zeugnisses für die Stellensuche ein grosses Anliegen, dass ihr im Falle «dieser ungerechten Kündigung» Gerechtigkeit widerfährt.
2. Prozessrisiken bei einer Klage aus missbräuchlicher Kündigung
Zwar keine Gerechtigkeit, aber eine gewisse Genugtuung könnte A erfahren, wenn gegen ihren undankbaren Arbeitgeber eine Entschädigung aus missbräuchlicher Kündigung erstritten werden könnte. Diese kann nach Art. 336a OR bis zu sechs Monatslöhne betragen, führt indessen nicht zur Aufhebung der Kündigung.
Eine Klage aus missbräuchlicher Kündigung ist jedoch in dreierlei Hinsicht mit Risiken behaftet: Die Praxis der Gerichte bezüglich des Nachweises eines missbräuchlichen Kündigungsmotivs und seiner Kausalität für die Kündigung ist erstens teilweise streng und die Einstufung eines Kündigungsmotivs als missbräuchlich hängt zweitens oft stark von der subjektiven Wertung der Richterin oder des Richters ab. Letzteres gilt drittens auch für die angemessene Entschädigung nach einer missbräuchlichen Kündigung: Werden sechs Monatslöhne eingeklagt und nur drei zugesprochen, unterliegt die Klägerin betraglich zur Hälfte, muss entsprechend die Hälfte der Gerichtskosten tragen und verliert den Anspruch auf eine Prozessentschädigung für die eigenen Anwaltskosten. Die unbezifferte Forderungsklage wird vom Bundesgericht nur bei Sachverhaltsermessen des Richters, nicht jedoch bei Rechtsfolgeermessen zugelassen (BGE 131 III 243). Immerhin sieht Art. 107 Abs. 1 lit. a ZPO vor, dass das Gericht die Prozesskosten nach Ermessen verteilen kann «wenn die Klage zwar grundsätzlich, aber nicht in der Höhe gutgeheissen wurde und diese Höhe vom gerichtlichen Ermessen abhängt oder die Bezifferung des Anspruchs schwierig war».
3. Prozessrisiken bei der gerichtlichen Schätzung von Überstunden
Sind Überstunden aus objektiven Gründen nicht mehr beweisbar, so können sie vom Gericht in analoger Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR geschätzt werden. Die Anforderungen sind jedoch streng: Die Leistung von Mehrstunden muss annährend sicher erscheinen (BGer 4C.307/2006 vom 26.03.2007 E. 3.2). Der Arbeitnehmer hat im Prozess ausserdem alle Umstände, welche die Abschätzung der Anzahl Überstunden erlauben, soweit zumutbar zu behaupten und zu beweisen (BGer 4A_419/2011 vom 23.11.2011 E. 3.3.1). Als Schätzungsgrundlage dienen können z.B. Zeugenaussagen (BGer 4A_543/2011 vom 17.10.2011 E. 3.2.1.3) oder Statistiken (BGer 4A_42/2011 vom 15.07.2011 E. 7.2 und 7.3). Eigene Aufzeichnungen der Arbeitnehmenden über die Arbeitszeit, welche dem Arbeitgeber nicht abgegeben wurden, sind blosse Parteibehauptungen (BGer 4A_338/2011 vom 14.12.2011 E. 2.3). Sie erleichtern jedoch dem Gericht in Verbindung mit den abgenommenen Beweismitteln die Schätzung der geleisteten Überstunden. Nebst der Anzahl Überstunden wird wie in jedem Überstundenprozess auch deren Anordnung durch den Arbeitgeber oder deren Notwendigkeit Beweisthema sein.
Die Verletzung der gesetzlichen Arbeitszeiterfassungspflicht durch den Arbeitgeber führt noch nicht zu einer Umkehrung der Beweislast (BGer 4C.307/2006 vom 26.03.2007 E. 3.1). Solche Pflichtverletzungen können jedoch in die richterliche Beweiswürdigung einfliessen, z.B. durch Herabsetzung des Beweismasses auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (BGer 4A_338/2011 vom 14.12.2011 E. 2.3).
4. Zu beachtende Fristen und Kosten
Die Klage auf eine Entschädigung aus missbräuchlicher Kündigung ist nach Art. 336b OR an strenge Verwirkungsfristen gebunden: So muss gegen die Kündigung längstens bis zum Ende der Kündigungsfrist schriftlich Einsprache erhoben und muss die Klage innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anhängig gemacht werden.
Klagen auf Lohn, Bonus, Überstundenentschädigung etc. sind in zeitlicher Hinsicht lediglich durch die fünfjährige Verjährungsfrist beschränkt. Gerade deswegen ist im vorliegenden Fall jedoch rasches Handeln angebracht, da die Entschädigung für vor mehr als fünf Jahren geleistete Überstunden laufend zu verjähren droht. Analoges gilt für den Ferienlohn von nicht bezogenen Ferien (vgl. für die nicht ganz einfache Frage der Verjährung von Ferienlohnansprüchen STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Praxiskommentar OR, Art. 329c N 4). Der Anspruch auf Ausstellung oder Abänderung des Arbeitszeugnisses verjährt nach h.L. dagegen erst nach zehn Jahren.
Gerade bei arbeitsrechtlichen Klagen bietet es sich an, die doch erheblichen Kostenrisiken eines Zivilprozesses durch die vorläufige Beschränkung auf eine Teilklage (Art. 86 ZPO) zu reduzieren. In arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 werden weder für das Schlichtungs- noch für die kantonalen Gerichtsverfahren Kosten auferlegt (Art. 113 Abs. 2 lit. d und Art. 114 lit. c ZPO). Dies gilt nicht für das Verfahren vor Bundesgericht (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG). Der Streitwert des Zeugnisprozesses wird von den kantonalen Gerichten oft stark vereinfacht auf einen Monat veranschlagt, während das Bundesgericht in einem neueren Einzelfall auf die wirtschaftliche Bedeutung der Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers abstellte (BGer 8C_151/2010 vom 31.08.2010 = ARV 2010 S. 265).
II. Klageschrift
Musterklageschrift zum Download
III. Ergänzende Hinweise
1. Missbräuchliche Kündigung
Die Bundesgerichtspraxis zur missbräuchlichen Kündigung ist in rascher Entwicklung. Das höchste Gericht schaffte einen Katalog missbräuchlicher Kündigungsgründe, den es in gesetzgeberischer Fortschreibung von Art. 336 OR laufend erweitert. In den letzten Jahren wurden z.B. die Konfliktkündigung, die unangemessene Änderungskündigung, die Kündigung lebens- und dienstälterer Arbeitnehmer, die missbräuchliche Art und Weise der Ausübung des Kündigungsrechts, die mit einem widersprüchlichen Verhalten verbundene Kündigung und die Kündigung trotz krassem Missverhältnis der Interessen in diesen Katalog aufgenommen (vgl. weiterführend STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Praxiskommentar OR, Art. 336 N 4). Dem Thema ist deshalb auch bei Kündigungsumständen, die prima vista von Art. 336 OR nicht erfasst werden, vertiefte Beachtung zu schenken.
2. Arbeitszeugnis
Der Prozess um ein Arbeitszeugnis kann im ordentlichen oder vereinfachten Verfahren ein bis zwei Jahre dauern – für die Arbeitnehmerin A, die dringend ein Zeugnis für ihre Stellenbewerbungen benötigt, also viel zu lange. Abhilfe bietet dann, wenn trotz Verlangen noch kein Zeugnis ausgestellt wurde, das summarische Verfahren nach Art. 248 Abs. 1 lit. b ZPO, denn es liegt ein klarer Fall vor, wenn ein Arbeitgeber seiner Ausstellungspflicht nach Art. 330a OR nicht nachkommt (BezGer ZH ER130021 vom 21.03.2013). Für einen Prozess auf Abänderung des Arbeitszeugnisses wie hier eignet sich das summarische Verfahren aber nicht und trotz der Dringlichkeit sind auch vorsorgliche Massnahmen kaum denkbar, da sie auf eine Vorvollstreckung des Endurteils hinauslaufen würden.
Die Beweislast für die im Zeugnis erwähnten Tatsachen obliegt dem Arbeitgeber, während der Arbeitnehmer den Beweis für die von ihm verlangten Ergänzungen oder Änderungen zu erbringen hat. Zu beachten ist, dass dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer keine subjektiven Werturteile aufgezwungen werden können.
3. Bonusrechtsprechung
Der schillernde Begriff des Bonus ist im Schweizer Recht unbekannt; entscheidend für seine rechtliche Behandlung ist, ob er als Gratifikation oder Lohnbestandteil aufzufassen ist. Nach der Bundesgerichtspraxis liegt eine Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR nur dann vor, wenn entweder ihre Ausrichtung im Grundsatz oder zumindest ihre Höhe in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt ist (BGE 129 III 276). Liegt eine sog. Unechte Gratifikation vor, die zwar im Grundsatz geschuldet, deren konkrete Höhe jedoch vom Arbeitgeber festzusetzen ist, so hat er dies nach billigem Ermessen zu tun (BGE 136 III 313 E. 2.2 und 2.3). Nach der Praxis des Bundesgerichtes kann aus der mehrfachen, freiwilligen Zahlung von Gratifikationen ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers entstehen. Dies zunächst dann, wenn die Gratifikation mindestens drei Mal, ununterbrochen und vorbehaltlos ausbezahlt wird, oder wenn ein stets wiederholter Freiwilligkeitsvorbehalt zur leeren Floskel verkommt und vom Arbeitgeber auch dann nicht in Anspruch genommen wird, wenn Anlass dazu bestanden hätte (BGE 129 III 171 E. 2).
Ein Bonus ist dagegen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als Lohnbestandteil zu qualifizieren, wenn er weder im Grundsatz noch der Höhe nach vom Ermessen des Arbeitgebers abhängt. Dies ist auch dann der Fall, wenn seine Höhe lediglich von objektiven Umständen wie zum Beispiel einer Kennzahl im Unternehmen abhängt. Das Bundesgericht stuft einen Bonus zudem dann als Lohnbestandteil ein, wenn er im Verhältnis zur übrigen Entschädigung nicht mehr als akzessorisch, sondern als Hauptentschädigung für die geleistete Arbeit erscheint (BGE 129 III 276 E. 2.1). Diese sog. Akzessorietätsrechtsprechung gilt wiederum dann nicht mehr, wenn der eigentliche Lohn ein Mass erreicht, das die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers bei weitem gewährleistet, was beim Fünffachen des schweizerischen Medianlohnes der Fall sein soll (BGE 141 III 407 E. 4–7, 139 III 155 E. 5, BGer 4A_565/2015 vom 14.04.2016 [zur Publikation vorgesehen] und 4A_251/2015 vom 06.01.2016).
Rechtsfolge der Einordung eines Bonus als Gratifikation oder Lohnbestandteil ist nicht nur der mehr oder weniger gesicherte Rechtsanspruch des Arbeitnehmers, sondern auch, dass ein als Lohnbestandteil qualifizierter Bonus nicht mehr unter eine Bedingung zum Beispiel des ungekündigten Arbeitsverhältnisses gestellt werden darf, Art. 322d Abs. 2 OR nicht mehr anwendbar ist und dem Arbeitnehmer ein pro rata-Anspruch zusteht. Zudem darf der Bonus nicht mehr im Interesse des Arbeitgebers zum Beispiel zum Einkauf in Aktienbeteiligungsprogramme verwendet werden (Art. 323b Abs. 3 OR).