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Grenzgänger und Taggeldanspruch in der ALV (8C_186/2017)

Grenzgänger und Taggeldanspruch in der ALV (8C_186/2017)

Jurisprudence
Arbeitslosenversicherung

Grenzgänger und Taggeldanspruch in der ALV (8C_186/2017)

In diesem in 3er Besetzung gefällten Entscheid in italienischer Sprache befasst sich das Bundesgericht mit einem internationalen Sachverhalt in der Arbeitslosenversicherung: Die zuständige Arbeitslosenkasse verneinte den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung aufgrund fehlenden Wohnsitzes des Versicherten in der Schweiz (Art. 8 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 12 AVIG). Der 1993 geborene Versicherte gab an, in der Schweiz zusammen mit dem Bruder eine 2.5-Zimmer-Wohnung zu besitzen, an den Wochenenden aber jeweils zu den Eltern nach Italien zurückzukehren.

Das Bundesgericht erinnert zunächst daran, dass Art. 12 AVIG einen eigenständigen Begriff des «Wohnens» aufstellt, der sich weder mit dem Wohnsitz nach Art. 13 Abs. 1 ATSG noch dem gewöhnlichen Aufenthalt nach Art. 13 Abs. 2 ATSG deckt. Für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des Wohnens nach Art. 8 Abs. 1 lit. c AVIG genügt ein tatsächlicher Aufenthalt in der Schweiz mit der Absicht, diesen Aufenthalt während einer gewissen Zeit aufrechtzuerhalten und hier in dieser Zeit auch den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen zu haben. Entscheidend dafür sind die objektiven Umstände (E. 5.1).

Aufgrund der konkreten Umstände verneint das Bundesgericht einen Anspruch nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz: Der Versicherte betonte die letztlich nicht massgebenden beruflichen Beziehungen zur Schweiz, während die entscheidenden persönlichen Beziehungen (Eltern, Mitgliedschaft in Vereinen, Freundschaften etc.) weiterhin zu Italien bestanden (E. 5.3).

Die Berufung auf das FZA brachte den Versicherten ebenfalls nicht zum Erfolg. Diesbezüglich erinnert das Bundesgericht daran, dass die Verordnung 883/2004 besondere Regeln für Arbeitslosigkeit enthält (Art. 61 ff., insb. Art. 65 VO 883/2004), die vom allgemeinen Grundsatz des Erwerbsortsprinzips abweichen (Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004) (E. 7.2). Eine vollarbeitslose Person erhält die Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates, kann sich aber – optional – der Arbeitsvermittlung am Erwerbsort zur Verfügung stellen (Art. 65 VO 883/2004; E. 7.3).

Zur Bestimmung des Wohnortes enthält Art. 11 der VO 987/2009 eine Liste von Kriterien, wozu namentlich die Dauer und Kontinuität des Aufenthalts sowie die familiären Verhältnisse und familiären Bindungen gehören. Jede Person kann nur einen Wohnsitz aufweisen, wobei es sich um einen autonomen Begriff handelt (E. 7.5). Diese Kriterien führen gemäss Bundesgericht vorliegend zum gleichen Ergebnis (E. 7.6).

Unerheblich ist, ob es sich um einen echten Grenzgänger (Tages- und Wochenendpendler) oder um einen unechten Grenzgänger (keine mind. wöchentliche Rückkehr in den Wohnsitzstaat) handelt. Bei beiden richtet sich der Leistungsanspruch nach dem Recht des Wohnsitzstaates (Art. 65 Abs. 2 Satz 3 VO 883/2004). Die abweichende Rechtsprechung des EuGH zur alten VO 1408/71 ist - wie der EuGH selbst festgestellt hat -  überholt (E. 7.7).

iusNet AR-SVR 26.09.2017