UberPop-Fahrer wird in der Waadt als Arbeitnehmer qualifiziert
UberPop-Fahrer wird in der Waadt als Arbeitnehmer qualifiziert
UberPop-Fahrer wird in der Waadt als Arbeitnehmer qualifiziert
TC VD HC_2020_535
I. Einleitung
Das Kantonsgericht Waadt hat in einem Mitte September publizierten Urteil vom 23. April 2020 entschieden, dass ein ehemaliger UberPop-Fahrer «in einem Arbeitsverhältnis mit der ihn beschäftigenden Gesellschaft» stand, und hat ihm zwei Monatslöhne plus Entschädigung wegen ungerechtfertigter Kündigung zugesprochen. Damit stützte es den Enscheid des Arbeitsgerichts des Kreises Lausanne vom April des vergangenen Jahres vollumfänglich. Das Urteil hat Präzedenzcharakter und dürfte wegweisend für die rechtliche Zuweisung der Vertragsbeziehungen in Geschäftsmodellen der Gig-Economy sein. Das Unternehmen hat die UberPop-Dienste in der Schweiz bereits eingestellt, bietet aber weitere Dienste in der Personenbeförderung (UberX, UberBlack, UberGreen) – mit Fahrern im Besitze einer Bewilligung für den berufsmässigen Personentransport – an und hat sich mit dem Lieferservice UberEats einen neuen Tätigkeitsbereich erschlossen.
II. Überblick über den Sachverhalt und die Prozessgeschichte
Ein ehemaliger Fahrer des Unternehmens UberPop hatte von April 2015 bis Dezember 2016 durchschnittlich jeweils 50,2 Stunden pro Woche für RasierOperations, eine Tochtergesellschaft von Uber, gearbeitet. Aufgrund von negativen Kundenbewertungen betreffend den Fahrer wurde sein Konto Ende 2016 von der Zentrale in den Niederlanden definitiv und mit sofortiger Wirkung deaktiviert. Das Lausanner Arbeitsgericht in erster Instanz vertrat die Auffassung, dass die von den Parteien abgeschlossene Vereinbarung alle charakteristischen Elemente des Arbeitsvertrages aufweist. Im Anschluss daran stellte es fest, dass die Sperrung des Kontos mit sofortiger Wirkung eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung darstellt. Der Betroffene sei sich den Anschuldigungen nicht bewusst gewesen und habe deshalb nicht reagieren können. Im Ergebnis ordnete das Arbeitsgericht an, dass die Uber-Tochtergesellschaft dem ehemaligen Fahrer rund 18`000 CHF zu zahlen habe. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus einem zweimonatigen Gehalt und einer Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Entlassung.
III. Bemerkungen zum Urteil
Der Sitz der Gesellschaft Uber befindet sich in Amsterdam, was dem Sachverhalt einen internationalen Charakter nach dem Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht verleiht und den Anwendungsbereich des Lugano Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eröffnet, da die Niederlande Vertragsstaat dieses Übereinkommens ist. Die allgemeinen Vertragsbedingungen beinhalteten Klauseln über das anwendbare Recht zugunsten des niederländischen Rechts, verlegen den Gerichtsstand in das Ausland und sehen die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts bei Streitigkeiten vor. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht erachtete diese Klauseln als ungültig und erklärte seine eigene Zuständigkeit in der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes. Das Kantonsgericht stützte die Auffassung des Arbeitsgerichts und ging auf die Zuständigkeitsfrage im Lichte des Lugano-Übereinkommens ein. Es wies darauf hin, dass der Begriff des Arbeitsvertrages nach dem Übereinkommen autonom auszulegen sei und ohne weiteres mit dem schweizerischen Recht übereinstimme. Zudem handle es sich vorliegend nicht um einen schiedsfähigen Streitfall; ohnehin halte die Schiedsklausel weder der Unklarheits- noch der Ungewöhnlichkeitsregel stand und verstosse in ihrer Tragweite schliesslich gegen die öffentliche Ordnung, indem sie faktisch zur völligen Aufhebung des Schutzes für Arbeitnehmer führe.
Das Kantonsgericht stellte nach einer eingehenden Prüfung der Allgemeinen Vertragsbedingungen und der konkreten Umstände unter Bezugnahme auf die den Arbeitsvertrag konstituierenden Elemente mit aller Deutlichkeit fest, dass die zwischen den Parteien abgeschlossene Vereinbarung alle charakteristischen Elemente des Arbeitsvertrages nach Art. 319 Abs. 1 OR erfüllt. Es wies darauf hin, dass die Plattform Uber ihren Kunden Personenbeförderungsdienste anbietet und die Dienstleistung durch jene Fahrer erbringt, die ihr unmittelbar unterstellt sind. Diese verpflichten sich wiederum, eine persönliche Tätigkeit über einen bestimmten Zeitraum als Fahrer auszuführen, und erzielen daraus ihr Einkommen. In der dem Gericht vorgelegten Fallkonstellation hatte der Fahrer durchschnittlich während 50,2 Stunden pro Woche zur Verfügung gestanden und regelmässig Personen befördert. Die Regelmässigkeit der Einsätze war wesentlicher Indikator für die Feststellung, dass der Fahrer nur für das Unternehmen arbeitete und über keinen anderen Einkommensquellen verfügte. Das Gericht relativierte die vermeintlichen Freiheiten des Fahrers bei der Annahme und Durchführung von Fahranfragen und ging in diesem Kontext auch auf die faktisch dauerhafte Überwachung des Fahrers während den Fahrten, auf das Bewertungssystem und auf die damit verbundenen Sanktionsmechanismen sehr detailliert ein, welche bei negativen Beurteilungen zum Einsatz kommen.
Im Ergebnis gelangt das Kantonsgericht, wie das Arbeitsgericht zuvor, zur Auffassung, dass zwischen dem Fahrer und der Plattform trotz anderweitiger Bezeichnung ein Arbeitsverhältnis nach Art. 319 Abs. 1 OR vorgelegen hatte. Die Deaktivierung des Kontos stelle in diesem Kontext eine fristlose Kündigung i.S.v. Art. 337 Abs. 1 OR dar, welche einen wichtigen Grund voraussetzt. Ausser bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen ist eine firstlose Kündigung bspw. dann gerechtfertigt, wenn das bemängelte Verhalten trotz Verwarnung wiederholt aufgetreten ist. Dem Fahrer wurde zwar konkret Trunkenheit bei der Arbeitsausführung vorgeworfen, er hätte aber vorher ordnungsgemäss ermahnt werden müssen. Von der Abmahnung hätte man absehen können, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unter Alkoholeinfluss einen Schaden zugefügt oder ein anders schwerwiegendes Fehlverhalten begangen hätte.
IV. Schlusswort
Das Urteil des Kantonsgerichts ist nicht zuletzt aufgrund einer klaren und umfassenden rechtlichen Auseinandersetzung mit dieser Beschäftigungsform wegweisend für die rechtliche Qualifikation der Plattformarbeit vor allem bei ortsgebundenen Tätigkeiten. Das Gericht wiederlegt die Argumente, die für die vermeintliche Selbstständigkeit und die Freiheiten sprechen, die im Zusammenhang mit diesem Geschäfts- bzw. Marketingmodell oft vorgebracht werden. Es zeigt das dahinter verborgene tatsächliche Unterordnungsverhältnis zwischen der Plattform und ihren Beschäftigten exemplarisch auf, das sich im Ergebnis nicht von jenen der Arbeitnehmenden im herkömmlichen Sinne unterscheidet. Das Urteil dürfte ausserdem eine gewisse Signalwirkung für die Bestimmung des gerichtlich noch nicht geklärten sozialversicherungsrechtlichen Status (selbstständige oder unselbstständig erwerbstätige Personen) von Uber-Fahrerinnen und -Fahrern unter ähnlichen Konditionen haben.