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Anzeigepflicht bei Krankentaggeldversicherungen

Anzeigepflicht bei Krankentaggeldversicherungen

Éclairages
Privates Individualarbeitsrecht

Anzeigepflicht bei Krankentaggeldversicherungen

4A_283/2019

I.     Zusammenfassung des Urteils

Dem Urteil des Bundesgerichts vom 17. Oktober 2019 (4A_283/2019) lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beschwerdeführerin beantworte bei der Gesundheitsdeklaration für Betriebsinhaber gegenüber einer Krankentaggeldversicherung alle Fragen zu gesundheitlichen Einschränkungen und Behandlungen mit «Nein» und wurde deshalb vorbehaltlos in die Versicherung aufgenommen. Jahre später wurde die Beschwerdeführerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig und meldete ihren Schadenfall der Krankentaggeldversicherung. Diese bezahlte der Beschwerdeführerin während rund einem halben Jahr Krankentaggelder. Sodann stellte die Versicherung die Taggeldzahlungen ein, kündigte den Krankentaggeldversicherungsvertrag und machte Anzeigepflichtverletzung der Beschwerdeführerin geltend. Mit Klage beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt verlangte die Krankentaggeldversicherung ihre Taggelder von insgesamt CHF 113'098.60 von der Beschwerdeführerin zurück. Das Sozialversicherungsgericht kam zum Schluss, dass die Krankentaggeldversicherung berechtigt gewesen sei, aufgrund der Anzeigepflichtverletzung der Beschwerdeführerin den Versicherungsvertrag zu kündigen und hiess die Klage gut. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht und beantragte die Aufhebung des Entscheides und die Abweisung der Klage.

Das Bundesgericht stellte bezüglich der Anzeigepflichtverletzung auf die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ab, wonach davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin die Fragen 2-5 auf dem Gesundheitsfragebogen falsch beantwortet hat. Dies wurde von der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht nicht in Frage gestellt. Die Beschwerdeführerin machte vielmehr einen Zustellungsmangel bezüglich der Kündigung geltend, da ihr Rechtsvertreter nicht zur Entgegennahme der Kündigung bevollmächtigt gewesen sei. Unter Bezugnahme auf das Urteil 4A_325/2010 vom 1. Oktober 2010 wies das Bundesgericht diese Rüge ab, da eine unwiderrufliche Vollmacht des Rechtsvertreters vorlag, auf die sich die Krankentaggeldversicherung in guten Treuen habe verlassen dürfen. Die Kündigung wurde als gültig angesehen. Das Bundesgericht prüfte weiter, ob die Vorinstanz die Rückzahlung der bereits bezahlten Taggelder zu Recht gutgeheissen hat. Gemäss Art. 6 Abs. 3 VVG hat der Versicherer Anspruch auf Rückerstattung bereits geleisteter Versicherungsleistungen, wenn der Schadenseintritt in einem klaren Konnex zur Anzeigepflichtverletzung steht. Die Vorinstanz ging gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum hier relevanten Kausalitätsbegriff davon aus, dass die verschwiegene Krankheit nicht gleich diagnostiziert werden musste wie die während der Vertragsdauer aufgetretene. Im vorliegenden Fall erkrankte die Beschwerdeführerin 2016 an einem Burnout. Da bei der im Jahr 2011 aufgetretenen Depressionsproblematik von einer rezidivierenden (wiederkehrende) psychischen Störung (Erschöpfungssyndrom im Sinne eines Burnout-Syndrom) die Rede war, bejahte die Vorinstanz den Zusammenhang zwischen diesen beiden Erkrankungen. Das Bundesgericht sah darin keine Verletzung des Bundesrechts und wies die Beschwerde der Beschwerdeführerin ab.

II. Kommentar

Das vorliegende Urteil stellt aus versicherungsrechtlicher Sicht keine Überraschung dar, sondern folgt vielmehr der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, namentlich in Bezug auf den Grundsatz, dass der Kausalitätsbegriff, wie er in Art. 6 Abs. 3 VVG verwendet wird, weit zu verstehen ist (Urteil 9C_18/2016 vom 7. Oktober 2016 E. 6.2.2 mit Hinweisen). Vorliegend ist insofern hervorzuheben, dass die in beiden Krankheitsfällen abgegebene Diagnose «Burnout-Syndrom» für sich allein scheinbar nicht genügte, um die Kausalität zwischen diesen beiden Erkrankungen zu bejahen. Vielmehr sah es die Vorinstanz und damit schliesslich auch das Bundesgericht als entscheidend an, dass bei der ersten Diagnose die Rede von rezidivierend (wiederkehrend) war.

Arbeitsrechtlich ist in diesem Zusammenhang jedoch die Frage von Interesse, ob bei Ablehnung der Leistungspflicht durch die Versicherung wieder die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers einsetzt.

Gemäss Art. 324a Abs. 1 OR trifft grundsätzlich den Arbeitgeber eine Lohnfortzahlungspflicht bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers wegen Krankheit. Im ersten Dienstjahr muss er den Lohn für drei Wochen und anschliessend entsprechend den jeweils anwendbaren Skalen (Basler-, Berner- oder Zürcher-Skala) den vollen Lohn bezahlen.

Entsprechend Art. 324a Abs. 4 OR können die Parteien schriftlich eine gleichwertige Lösung vereinbaren. In der Praxis wählen hier die Parteien häufig eine Krankentaggeldversicherungslösung und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung werden Versicherungslösungen mit 2-3 Karenztagen, 80% Lohnzahlung während 720/730 Tagen innert längstens 900 Tagen bei hälftiger Prämienzahlung als gleichwertig angesehen1.
Vereinbaren die Parteien eine Versicherungslösung, die nicht als gleichwertig anzusehen ist, namentlich weil mehr Karenztage, während denen der Arbeitnehmer keinen Lohn erhält, vereinbart werden, ist die gesamte Klausel als ungültig anzusehen und der Arbeitgeber hat seiner Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a Abs. 1 und 2 OR nachzukommen. Auf der anderen Seite wird sich aber der Arbeitnehmer in einem solchen Fall bei einer Krankentaggeldversicherung nach VVG gleichwohl auf Art. 87 VVG berufen können und die Krankentaggeldversicherung auffordern, direkt an ihn die Taggelder auszuzahlen. Der Arbeitgeber darf sich diese Zahlungen natürlich auf seine Lohnfortzahlung anrechnen lassen. Schliesslich kann der Arbeitnehmer auch seine bisher vom Lohn abgezogenen Prämienabzüge zurückverlangen2.

Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bleibt auch bestehen, wenn eine solche gleichwertige Lösung nicht schriftlich oder mangelhaft vereinbart wurde. Insbesondere genügt der blosse Verweis auf das Bestehen einer Versicherung nicht. Es müssen vielmehr die Eckpunkte der Versicherungslösung, wie die versicherten Risiken, die Höhe des Taggeldes, die Dauer der Zahlung und der Karenztage und die Beteiligung an der Prämienzahlung schriftlich festgehalten werden, wobei auch der Verweis auf die einschlägigen Versicherungsbedingungen genügen kann3. Die Beweislast, dass der Arbeitnehmer die Versicherungsbedingungen zur Kenntnis genommen hat, trägt der Arbeitgeber. Sodann trägt der Arbeitgeber auch das Risiko, dass er sich unklare und ungewöhnliche Versicherungsbedingungen entgegenhalten lassen muss und dass die Versicherungslösung nur noch als blosse Ergänzung seiner Lohnfortzahlungspflicht und nicht als Ersatzlösung qualifiziert wird4.

Betreffend die Wirkung von Vorbehalten und Leistungsausschlüssen in Versicherungslösungen auf die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ist man sich in der Lehre nicht einig. Ein Teil der Lehre vertritt die Meinung, dass solche Versicherungsvorbehalte bei der Gesamtbeurteilung der Gleichwertigkeit miteinbezogen werden dürfen und damit grundsätzlich auch zulässig sind5. Die andere Lehrmeinung ist dagegen der Ansicht, dass Art. 324a OR eine Lohnfortzahlungspflicht für sämtliche unverschuldeten Arbeitsverhinderungen infolge Krankheit vorschreibt und daher eine Versicherungslösung mit Vorbehalten per se keine gleichwertige Ersatzlösung darstellen kann6.

Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, wenn die Versicherung die Leistung – wie im vorliegenden Fall – wegen Verletzung von Mitwirkungs-, Melde- oder Anzeigepflichtverletzungen oder weil der Anspruch auf Versicherungsleistung verjährt ist, verweigert. Solche Pflichten des versicherten Arbeitnehmers sind im Versicherungsverhältnis grundsätzlich üblich und beeinträchtigen somit die Gleichwertigkeit der Ersatzlösung nicht. Damit lebt in diesen Fällen die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers grundsätzlich nicht wieder auf; es sei denn, den Arbeitgeber treffe selbst ein (Mit-)Verschulden an dieser Pflichtverletzung7.

  • 1. Ullin Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012, N 24 zu Art. 324a/b OR mit Zusammenstellung der Gerichtspraxis
  • 2. Christoph Häberli/David Husmann, Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechtliche Aspekte, Bern 2015, Rz. 442 f.
  • 3. Roberta Papa, Die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers bei Krankheit und Unfall des Arbeitnehmers und die Koordination von Lohnfortzahlungsleistungen mit Taggeldleistungen, in: ArbR 2009, S. 81.
  • 4. Papa, Lohnfortzahlung, S. 82
  • 5. Streiff/von Kaenel/Rudolph, N 14 zu Art. 324a/b OR
  • 6. Häberli/Husmann, Krankentaggeld, Rz. 414; Papa, Lohnfortzahlung, S. 88 f.
  • 7. Papa, Lohnfortzahlung, S. 90 f. m.w.H.
iusNet AR-SVR 27.01.2020