Bundesgericht kreiert im internationalen Arbeitsrecht neuen Vertragstyp
Bundesgericht kreiert im internationalen Arbeitsrecht neuen Vertragstyp
Bundesgericht kreiert im internationalen Arbeitsrecht neuen Vertragstyp
4A_142/2018
I. Zusammenfassung des Urteils
Dem hier kommentierten Entscheid des Bundesgerichtes lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdeführer, ein schwedischer Staatsangehöriger, arbeitete erst ein paar Jahre für eine Konzerngesellschaft in Schweden und anschliessend ab Februar 1982 in der Schweiz bei der Beschwerdegegnerin, einer Gesellschaft des selben Konzerns. Basis dieser Tätigkeit in der Schweiz bildete ein «transfer letter», eine Vereinbarung, die die Beschwerdegegnerin mit dem Beschwerdeführer abgeschlossen hat. Dieser transfer letter enthielt sämtliche Elemente eines Arbeitsvertrages. Obwohl die schwedische Konzerngesellschaft nicht Vertragspartei dieses transfer letters war, wurde sie darin verpflichtet, für den Beschwerdeführer weiterhin die berufliche Vorsorge in Schweden einzuzahlen und ihm jeweils jährlich das dafür massgebende "Sleeping base salary" bekanntzugeben. Die übrigen Sozialversicherungen wurden entsprechend der Vereinbarung im transfer letter von der Beschwerdegegnerin einbezahlt. Am Schluss enthielt der transfer letter folgenden Satz: "This 'transfer letter' ... does not constitute or create an employment contract."
Beinahe 32 Jahre lang hat der Beschwerdeführer sodann in der Schweiz entsprechend den im transfer letter festgelegten Bedingungen für die Beschwerdegegnerin gearbeitet und von dieser den Lohn erhalten. Während dieser Zeit hat die schwedische Gesellschaft mit dem Beschwerdeführer keinen Kontakt und zahlte für ihn einzig die berufliche Vorsorge in Schweden ein. Im Januar 2013 dann, rund ein Jahr vor der Pensionierung des Beschwerdeführers, unterbreitete ihm die schwedische Konzerngesellschaft einen Vorschlag zur Frühpensionierung. Diesen lehnte der Beschwerdeführer ab, weil die berufliche Vorsorge, die für ihn in Schweden einbezahlt wurde, viel geringer war, als der entsprechende Anspruch, der ihm nach Schweizer Recht zugestanden hätte. Da man sich über diesen Punkt nicht einig wurde, forderte die schwedische Konzerngesellschaft den Beschwerdeführer am 30. September 2013 auf, ab dem 1. Januar 2014 seine Arbeit wieder in Schweden aufzunehmen. Nachdem der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nicht folgte, weil sie für ihn nicht zumutbar war, wurde ihm mit Schreiben vom 2. April 2014 von der schwedischen Gesellschaft fristlos gekündigt. Die Beschwerdegegnerin schloss sich dieser Kündigung an und kündigte dem Beschwerdeführer ebenfalls fristlos. Der Beschwerdeführer machte sodann gegenüber der Beschwerdegegnerin Ansprüche wegen missbräuchlicher (Alterskündigung) und ungerechtfertigter fristloser Kündigung geltend.
Schliesslich verneinten nun alle drei Instanzen die Arbeitgeberstellung bzw. die Passivlegitimation der Beschwerdegegnerin unter Berufung auf die Klausel im transfer letter, die besagte, dass es sich bei diesem nicht um einen Arbeitsvertrag handle.
II. Kommentar
Dieser Bundesgerichtsentscheid ist in vieler Hinsicht erstaunlich, namentlich weil er mit verschiedenen Leitsätzen bricht, die in bisherigen Bundesgerichtsentscheiden zum Thema internationaler Mitarbeitereinsatz aufgestellt wurden und vor allem auch, weil er in einem arbeitsrechtlichen Fall den Parteiwillen über die rechtliche Qualifikation stellt.
Bis anhin hat das Bundesgericht bei internationalen Mitarbeitereinsätzen regelmässig jene Person als Arbeitgeberin angesehen, «die Anspruch auf die Leistung des Arbeitnehmers hat und entsprechend auch aus dem Arbeitsverhältnis bzw. dem Arbeitsvertrag verpflichtet ist» 1. Neu vertritt das Bundesgericht die Meinung (E 2.3.4.), dass der Anspruch auf Arbeitsleistung unbeachtlich sei und dass vielmehr jene Partei Arbeitgeberin ist, welche den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, wer den wirtschaftlichen Nutzen aus der Arbeit zieht.
In Erwägung 2.3.4. zählt das Bundesgericht sodann 8 Indizien auf (fehlende Befristung des Auslandeinsatzes, mangelnde Wiedereinstellungsgarantie, Anspruch auf Arbeitsleistung, Weisungsbefugnis, Integration in Betriebsstruktur, Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge, Betreuung bei Personalbelangen, Auszahlung des Lohnes), die je für sich allein wohl nicht genügen können, um eine Arbeitgeberstellung zu begründen. Wenn sie jedoch, wie vom Beschwerdeführer dargelegt, alle gegeben sind, muss dies im Sinne einer Gesamtwürdigung zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses und damit der Arbeitgeberstellung führen 2. Diese Schlussfolgerung wird an sich vom Bundesgericht auch gezogen, indem es bestätigt, dass die vorliegende Vereinbarung alle Elemente eines Arbeitsvertrages aufweist (E. 3.1). Die Arbeitgeberstellung verneint es jedoch trotzdem. Es sieht die Klausel, die besagt, dass diese Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und der schweizerischen Gesellschaft keinen Arbeitsvertrag begründe, als übereinstimmenden Parteiwillen an und stellt diesen der rechtlichen Qualifikation voran (E. 3.1.).
Den Einwand, damit werde der Scheinselbständigkeit Tür und Tor geöffnet, tut das Bundesgericht mit der Begründung (E. 3.2) ab, «dass aus dem ‘transfer letter’ [nicht] auf eine (konkludente) Auflösung des zur schwedischen Konzerngesellschaft bestehenden Arbeitsverhältnisses geschlossen werden könne». Diesen Schluss zieht das Bundesgericht (E. 2.3.4.) einzig aus dem Umstand, dass die schwedische Gesellschaft für den Beschwerdeführer die Pensionskassenbeiträge in Schweden einbezahlt («… aus welchem Grund, wenn nicht als Arbeitgeberin, sie diese Verpflichtung weiterhin hätte übernehmen sollen.»), obwohl es gleich anschliessend ausführt, dass die Abrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Bestimmung der Arbeitgeberstellung nur eine beschränkte Aussagekraft hat.
Die Vorinstanz sah es sodann als erwiesen an, dass entsprechend der Vereinbarung zwischen den Parteien im transfer letter nicht von einem Arbeitsvertrag, sondern vielmehr von einem Entsendevertrag auszugehen sei. Nebst dem ein Entsendevertrag grundsätzlich auch ein Arbeitsvertrag ist, hat die Vorinstanz dabei ausser Acht gelassen, dass eine Entsendung definitionsgemäss nur vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber in einen anderen Staat entsandt wird, um dort seine Arbeit für beschränkte Zeit zu verrichten3.
Gemäss Vorinstanz hat vorliegend die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer nirgends hingeschickt; vielmehr arbeitete dieser während mehr als 30 Jahre in ihrem Betrieb entsprechend ihren Weisungen und hat dafür von ihr Lohn erhalten. Diesem Einwand stimmte das Bundesgericht grundsätzlich zu. Jedoch schloss es daraus nicht, dass damit ein Arbeitsvertrag vorliegen muss. Vielmehr hat es einen neuen bis anhin im internationalen Arbeitsrecht unbekannten Vertragstyp kreiert, den Empfangs- respektive Transfervertrag. Es handelt sich dabei also um einen Dienstleistungsvertrag, der sämtliche Elemente eines Arbeitsvertrages aufweist, aber entsprechend dem Willen der Parteien trotzdem keiner ist, vorausgesetzt eine andere Gesellschaft, für die der Dienstleistungserbringer einmal gearbeitet hat, zahlt weiterhin für diesen die berufliche Vorsorge ein.
Mit diesem Urteil, welches auf sehr fraglichen Begründungen aufbaut, hat das Bundesgericht einen Freiraum geschaffen, der so wohl nicht beabsichtigt war. Mit dem Konstrukt können nun Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigt werden, ohne dass diese ihre zivilrechtlichen Ansprüche aus dem Arbeitsvertragsrecht gegen den Betrieb, für den sie in der Schweiz nach dessen Weisung gegen Lohn arbeiten, geltend machen können. Grund dafür ist, dass diesem Betrieb wegen des Zaubersatzes, es handle sich dabei um keinen Arbeitsvertrag, keine Arbeitgeberstellung zukommt, obwohl er mit dem Arbeitnehmer einen Vertrag abgeschlossen hat. Zudem kann man einen solchen Arbeitnehmer – wie der vorliegende Fall zeigt – auch jederzeit fristlos entlassen, ohne dass er deshalb irgendwelche Ansprüche geltend machen kann. Auch das Thema Alterskündigung lässt sich damit problemlos umschiffen.
Zudem ist davon auszugehen, dass dieser Quasi-Arbeitnehmer auch gegen die Gesellschaft, welche für ihn lediglich die berufliche Vorsorge einzahlt, keine arbeitsrechtlichen Ansprüche geltend machen kann, da diese lose Verbindung von einem (ausländischen) Gericht wohl kaum als Arbeitsvertrag qualifiziert wird.
Vor diesem Hintergrund bleibt im Interesse des Arbeitnehmerschutzes zu hoffen, dass dieser neu kreierte Vertragstyp nicht Schule macht.
Dieser Entscheid verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, bei der vertraglichen Ausgestaltung eines internationalen Mitarbeitereinsatzes grösste Sorgfalt walten zu lassen. In der Regel wird eine unklare bzw. widersprüchliche Regelung von den Gerichten zu Ungunsten des Verfassers ausgelegt. Doch blieb auch dieser Grundsatz im vorliegenden Fall unbeachtet.
Zusammenfassend gesehen, mutet dieser Bundesgerichtsentscheid wie das Bild von René Magritte mit dem Titel «La trahison des images» an, auf dem eine Tabakpfeife abgebildet ist, unter der folgende Satz steht: «Ceci n’est pas une pipe».
- 1. Urteil des Bundesgerichts 4A_564/2014 vom 11. Februar 2015 E.3.2; Urteil des Bundesgerichts 4C.158/2002 vom 20. August 2002 E. 2.3 a.E.
- 2. Roger Hischier, Arbeitgeberstellung bei internationalen Arbeitsverhältnissen im Konzern, ArbR 2016/2017, S. 70.
- 3. Roger Hischier, Internationaler Mitarbeitereinsatz, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Rz. 36 ff. und 43 ff.